Geld und Grenzschutz: Europas Antwort auf die Flüchtlingskrise

(c) Imago/i Images
  • Drucken

Brüssel will die Versorgung der hilfsbedürftigen Syrer außerhalb der Europäischen Union finanzieren.

Brüssel. „Die größte Welle von Flüchtlingen und Migranten steht noch bevor. Allein aus Syrien versuchen Millionen Menschen, nach Europa zu gelangen“ – mit diesen dramatisch klingenden Worten schwor Ratspräsident Donald Tusk die Staats- und Regierungschefs der EU auf Kooperation in der Flüchtlingskrise ein. Mit dem Sondergipfel am Mittwoch sei die Zeit der gegenseitigen Schuldzuweisungen vorbei, nun gehe es um Fakten und nicht um Emotionen, betonte Tusk am gestrigen Donnerstag in seiner mitternächtlichen Stellungnahme.

Ganz harmonisch ging es bei der Unterredung im achten Stock des Ratsgebäudes Justus Lipsius doch nicht zu. Zwar ist es Tusk gelungen, ein neuerliches Aufflammen des Streits um die Quotenregelung zur Verteilung der Schutzbedürftigen auf alle Unionsmitglieder zu verhindern, zwischen Viktor Orbán und Werner Faymann konnte er aber nicht erfolgreich vermitteln. Der ungarische Ministerpräsident und der österreichische Bundeskanzler lieferten sich in Brüssel ein Wortgefecht – dem Vernehmen nach ging es um den Umgang Ungarns mit Flüchtlingen. Während Faymann seinem ungarischen Kollegen vorwarf, die Neuankömmlinge schlecht zu behandeln, konterte Orbán mit der Drohung, Flüchtlinge nach Österreich durchzulassen. Faymann habe eindeutig gesagt, „wenn wir die Migranten nur mittels eines Zaunes stoppen können, dann sollen wir sie lieber durchlassen“, sagte Orbán nach Angaben der Nachrichtenagentur MTI.

Hotspots bis Ende November

Die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs zielen allerdings darauf ab, genau diesen Umgang mit Schutzbedürftigen zu unterbinden. So wird die EU eine Milliarde Euro zusätzlich lockermachen, um die Flüchtlinge aus Syrien in der unmittelbaren Nachbarschaft des kriegsgeplagten Landes zu versorgen – und zwar im Rahmen des UN-Welternährungsprogrammes und des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. Experten begründen die zunehmende Flucht nach Europa auch mit der Tatsache, dass die Organisation ihre Hilfsmaßnahmen zuletzt aus Geldmangel kürzen musste. Im Vorfeld hat die EU-Kommission bereits angekündigt, bis Ende 2016 zusätzlich 1,7 Mrd. Euro zur Verfügung zu stellen, um etwa die Türkei bei der Versorgung der Flüchtlinge zu unterstützen.

Entschlossenheit signalisiert man auch hinsichtlich der Sicherung der EU-Außengrenzen. Bis Ende November sollen in den momentan besonders stark betroffenen „Frontstaaten“ Italien und Griechenland die Erstaufnahmezentren der EU den Betrieb aufnehmen. Griechenland will diese „Hotspots“ bis Ende Oktober auf den Inseln Lesbos, Kos und Leros errichten. Neuankömmlinge sollen dort registriert und (sofern sie die Kriterien erfüllen) für die Unterbringung in anderen Mitgliedstaaten ausgewählt werden – insgesamt geht es um 160.000 Syrer, Iraker und Eritreer bis Ende 2016. Den osteuropäischen Kritikern der Quote geht die Grenzsicherung nicht rasch genug. In Budapest wird darauf verwiesen, dass 2014 die Hälfte der Flüchtlinge in den letzten drei Monaten des Jahres ankam. Dieses Muster dürfte auch auf das laufende Jahr zutreffen: Nach Angaben der ungarischen Polizei trafen allein am Mittwoch 10.046 Flüchtlinge in Ungarn ein. Währenddessen warteten Donnerstagmorgen an der griechisch-mazedonischen Grenze mehr als 4000 Menschen auf eine Gelegenheit zur Weiterreise nach Westeuropa. Im Schnitt überqueren derzeit pro Tag rund 5000 schutzbedürftige Personen die Außengrenzen der EU.

Angesichts des Ausmaßes der Fluchtbewegung halten Hilfsorganisationen die Pläne der EU für einen bescheidenen ersten Schritt. Die kontroverse Verteilung von 160.000 Flüchtlingen, die am Dienstag gegen die Stimmen von vier osteuropäischen EU-Mitgliedern beschlossen wurde, könne nur „der Anfang einer Lösung sein“, sagte gestern UN-Flüchtlingshochkommissar António Guterres. Caritas-Präsident Michael Landau wiederum forderte per Aussendung die Schaffung legaler Wege zur Einreise direkt aus Krisengebieten.

Europäische Lösung oder jeder für sich allein? Diskutieren Sie mit im Themenforum

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

A German border sign is seen on the highway near Salzburg
Außenpolitik

Wo sich Deutschland von seiner überforderten Seite zeigt

Die deutschen Bundesländer sind mit der anhaltend hohen Zahl an Flüchtlingen überfordert. Wie sehr, lässt sich vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales beobachten. Dort harren tagtäglich hunderte Menschen ihrer Registrierung in Deutschland.
Migrants wait to cross the border from Serbia into Croatia near the village of Babska
Außenpolitik

Flüchtlinge: Kroatien öffnet zwei Grenzübergänge zu Serbien

Regierungschef Zoran Milanovic warnte bereits am Nachmittag, er werde die Grenze wieder schließen, sollte dies im nationalen Interesse sein.
Syrische Flüchtlinge auf der Insel Lesbos.
Außenpolitik

Flüchtlinge: Athen trifft Vorbereitungen für Hotspots

Die Registrierungszentren für Flüchtlinge sind auf den Inseln Chios, Lesbos, Samos und Kos geplant. Unklar ist, wohin Menschen mit negativem Status kommen sollen.
Wenig zu Lachen haben Faymann und Orban in der Flüchtlingskrise.
Außenpolitik

EU-Gipfel: Offener Schlagabtausch zwischen Faymann und Orban

Kanzler Faymann und Ungarns Premier lieferten sich am EU-Sondergipfel hitzige Diskussionen. Ungarn erwäge, Flüchtlinge nach Österreich passieren zu lassen.
Eine Flüchtlingsfamilie wartet in Kroatien auf ihre Weiterfahrt.
Außenpolitik

Sondergipfel: Eine Milliarde Euro für Versorgung syrischer Flüchtlinge

Eine Milliarde Euro soll an UN-Organisationen fließen, um syrische Flüchtlinge in Nachbarstaaten zu unterstützen. Hotspots sollen bis Ende November kommen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.