Putin will Westen weichkochen: Pax Russica in der Ukraine

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Die relative Ruhe in der Ostukraine soll ein Verhandlungsklima schaffen, in dem der Präsident als Weltpolitiker auf die Bühne zurückkehrt.

Im Konflikt in der Ostukraine lässt sich die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen beobachten: Während der Verhandlungsprozess stockt, ist es still an der Front. Die Repräsentanten der Ukraine und Russlands sowie der Ukraine-Sondergesandte der OSZE, der Österreicher Martin Sajdik, erzielten in der trilateralen Kontaktgruppe in Minsk keinen Durchbruch: Die Konfliktparteien sind sich weder über den Abzug von Waffen von weniger als 100 Millimeter Kaliber noch über den Austausch von Kriegsgefangenen einig; eine gemeinsame Abhaltung von Lokalwahlen im Oktober scheint unwahrscheinlich.

Allerdings gibt es seit Anfang September einen Waffenstillstand in der Ostukraine. Mehrere wurden seit dem ersten Abkommen von Minsk vor einem Jahr ausgerufen, keiner hat gehalten. Eine rätselhafte Ruhe liegt über dem Donbass. Die in der Region tätigen OSZE-Beobachter notieren kaum Übertretungen in ihren Berichten. Die ukrainische Armee hat Anweisung, das sporadische Feuer von separatistischer Seite nicht zu erwidern.

Verordnete Entspannung

In der Ukraine sind Beobachter wie Oleksij Melnyk überzeugt, dass der russische Präsident dem Kriegsschauplatz Donbass Entspannung verordnet hat. „Es gibt einen Mann, der eine wirksame Waffenruhe implementieren kann: Wladimir Putin“, sagt der Sicherheitsexperte vom Kiewer Razumkow Centre. Um von einer längerfristigen Beruhigung oder einem „Einfrieren“ des Konflikts zu sprechen, sei es zu früh. Die Eskalationspirale könne sich schnell wieder hochschrauben. Die Entspannung im Donbass sieht der Experte als taktischen Zug des Kreml: Es sei Putin derzeit daran gelegen, Gesprächsbereitschaft und Konzilianz zu signalisieren.

Seine Rede vor der UN-Generalversammlung ist ein wichtiger Grund, warum sich Russland als Streitschlichter gibt – auch im Konfliktherd Syrien. Außerdem ist für den 2.Oktober in Paris ein Ukraine-Gipfel mit Frankreich und Deutschland angesetzt. Putin spielt mit dem Wunsch des Westens, den Konflikt zu beenden – oder zumindest merklich zu befrieden, auch wenn das einer Pax Russica näherkommen könnte.

Gerüchte, wonach der Westen die Annexion der Krim für eine Entspannung im Donbass hinnehmen könnte, sind zuletzt wieder aufgetaucht. Putin könnte den Ukraine-Gipfel dazu nutzen, sich in Szene zu setzen und ein Entgegenkommen der EU für weitere Entspannungsschritte zu fordern. Und zwar: eine (teilweise) Rücknahme der Sanktionen.

Nicht nur die russische Wirtschaft und die Bevölkerung leiden unter den Sanktionen, sondern auch Putin selbst. „Er will ein Weltpolitiker sein, aber das klappt nicht, wenn ihn niemand trifft“, sagt Melnyk. Zudem wird im Oktober der niederländische MH17-Abschlussbericht erwartet. Putin hofft, das Ausmaß der Verantwortung bzw. Schuld, mit der der Kreml belastet wird, zu minimieren.

Auch in Syrien versucht Russland, den Westen mit ins Boot zu holen. Mit einer Einbindung Assads in Gespräche über die Zukunft des Landes verfolgt Moskau gleichzeitig seine eigenen Interessen in der Region. „Mein Eindruck ist, dass man sich in Syrien gern größer macht, als man ist“, meint Melnyk. Moskau möchte sich als entscheidende Militärmacht präsentieren, ohne die eine Lösung des Bürgerkriegs nicht möglich ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2015)

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