Afghanistans Armee startet Gegenoffensive in Kunduz

Afghan special forces arrive for a battle with the Taliban in Kunduz city
Afghan special forces arrive for a battle with the Taliban in Kunduz city(c) REUTERS (STRINGER/AFGHANISTAN)
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Kampf gegen Taliban. Einen Tag nach der Besetzung von Kunduz durch die Extremisten eroberte die Armee Teile der Stadt zurück.

Kabul. Afghanistans Streitkräfte schienen sich am Dienstag von ihrem ersten Schock zunächst wieder erholt zu haben: Einen Tag, nachdem die nordafghanische Provinzhauptstadt Kunduz von Kämpfern der Taliban überrannt worden war, startete Afghanistans Armee eine Gegenoffensive. Afghanische Soldaten und Sicherheitskräfte seien Dienstagfrüh in Kunduz eingedrungen, sagte ein Polizeisprecher. „Wir haben das Polizeihauptquartier und das Provinzgefängnis zurückerobert.“ Unterstützt wurden die afghanischen Truppen durch US-Kampfflugzeuge.

Am Montag hatten etwa 2000 Kämpfer der Extremistenorganisation Taliban in einem Überraschungsangriff das rund 250 Kilometer von Kabul entfernte Kunduz besetzt. Die Taliban rekrutierten sich ursprünglich aus afghanischen Flüchtlingen, die in pakistanischen Koranschulen erzogen worden waren. 1996, sieben Jahre nach dem Abzug der sowjetischen Truppen und einem Bürgerkrieg zwischen den antisowjetischen Mujaheddin, übernahmen die Taliban in Afghanistan die Macht. Sie errichteten ein Terrorregime und regierten das Land am Hindukusch mit einer Mischung aus brutaler Auslegung der Scharia und harten paschtunischen Stammesgesetzen.

Taliban durchsuchen die Häuser

Da die Taliban al-Qaida-Chef Osama bin Laden Unterschlupf gewährt hatten, wurden sie nach den Anschlägen vom 11. September 2001 durch eine US-geführte Offensive gestürzt. Seither führten sie einen Untergrundkrieg gegen die internationalen Truppen in Afghanistan. Mit ihrem Einmarsch in Kunduz am Montag konnten sie aber das erste Mal seit ihrer Entmachtung 2001 die Kontrolle über eine größere afghanische Stadt übernehmen. Für den vor einem Jahr ins Amt gekommenen Präsidenten Ashraf Ghani bedeutet der Taliban-Vorstoß einen herben Rückschlag.

Ein Taliban-Kommandant namens Mullah Usman gab bekannt, seine Männer würden in Kunduz Häuser nach Regierungsmitarbeitern und regierungsfreundlichen Milizionären durchsuchen. „Wir sammeln Waffen und Munition von den Bewohnern der Stadt ein und aus den Regierungsgebäuden und Polizeiposten, die wir eingenommen haben.“ Ein afghanischer Mitarbeiter einer Hilfsorganisation in Kunduz berichtete am Dienstag, die Taliban hätten Fahrzeuge internationaler Hilfsorganisationen in ihre Gewalt gebracht.

Luftunterstützung durch die USA

Ein Vertreter der afghanischen Regierung, der sich auf dem Flughafen von Kunduz befand, berichtete von heftigen Kämpfen. Strom und Telefone seien fast überall ausgefallen: „Die Sicherheitskräfte haben die meisten strategisch wichtigen Plätze zurückgewonnen, in vielen Stadtteilen ist Gewehrfeuer zu hören.“ Ein US-Militärsprecher gab bekannt, dass die USA zur Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte einen Luftangriff in Kunduz geflogen haben.

Unklar war vorerst, wie viele Menschen bei den Gefechten getötet wurden. Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums in Kabul sagte, 16 Leichen seien in Krankenhäuser gebracht worden. 172 Menschen seien verletzt worden. „Wir wissen nicht, ob das Zivilisten oder Taliban sind.“

Kunduz war viele Jahre lang von deutschen Soldaten gesichert worden. Die Nato beendete ihren Kampfeinsatz in Afghanistan im vergangenen Jahr. Der Nachfolgeeinsatz Resolute Support dient vor allem der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte. Die im Land verbliebenen rund 13.000 ausländischen Soldaten sollen den bisherigen Plänen zufolge bis Ende 2016 vollständig vom Hindukusch abgezogen werden.

Der nunmehrige Vorstoß der Taliban auf Kunduz löste in Berlin eine Debatte um den geplanten Abzug der Bundeswehr aus. Deutschlands Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und auch Vertreter der SPD warnten nun vor einem zu frühen Truppenabzug. (APA/Reuters/red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2015)

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