Luftangriff auf Klinik: "Ärzte ohne Grenzen" verlassen Kunduz

Verletzte im bombardierten Krankenhaus.
Verletzte im bombardierten Krankenhaus.APA/EPA (MSF HANDOUT)
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Beim Beschuss eines Krankenhauses im nordafghanischen Kunduz wurden 19 Menschen getötet. Die USA versprechen Aufklärung.

Der Bombenangriff auf eine Klinik von "Ärzte ohne Grenzen" im nordafghanischen Kunduz mit 19 Toten sorgt weltweit für Entsetzen und bringt dem US-Militär harsche Kritik ein. Der Präsident der Hilfsorganisation, Meinie Nicolai, sprach von einem "schweren Bruch des Völkerrechts" und forderte eine unabhängige Untersuchung. "Ärzte ohne Grenzen" selbst zog sich am Sonntag aus Kunduz zurück.

Die Klinik sei "nicht mehr nutzbar", sagte eine Sprecherin der Nachrichtenagentur AFP. Die Organisation sei nicht mehr dort tätig, dringend behandlungsbedürftige Patienten seien in andere Kliniken gebracht worden. "Ich kann derzeit nicht sagen, ob das Traumazentrum wiedereröffnet wird oder nicht", so die Sprecherin.

Aus Sicht von "Ärzte ohne Grenzen" steht außer Zweifel, dass die US-geführte Militärkoalition die Klinik bombardiert hat, wo sich in der Nacht 105 Patienten, Angehörige und gut 80 Mitarbeiter aufhielten. Die Bilanz: 19 Tote, darunter drei Kinder und zwölf Mitarbeiter der Organisation. Hinzu kommen 37 Schwerverletzte.

Alle fordern Aufklärung

Die Hilfsorganisation wies Vorwürfe zurück, islamistische Taliban hätten in der Klinik Unterschlupf gefunden. Die US-Luftwaffe hatte die Klinik in der Nacht auf Samstag offensichtlich aus Versehen bombardiert. US-Präsident Barack Obama beklagte eine "Tragödie", sprach den Opfern sein Beileid aus und versprach Aufklärung.

Auch UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon drang auf eine rasche, umfassende und unvoreingenommene Untersuchung. Der UNO-Menschenrechtskommissar Said Raad al-Hussein sagte, es handle sich möglicherweise um ein Kriegsverbrechen. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg drückte seine Bestürzung aus. Mit Hilfe der NATO versuchen Regierungstruppen seit dem überraschenden Taliban-Angriff auf Kunduz am Montag, die Stadt wieder komplett unter Kontrolle zu bekommen.

Der NATO-Sprecher in Afghanistan, Sernando Estreooa, erklärte, US-Streitkräfte hätten zur fraglichen Zeit einen Luftangriff nahe der Klinik durchgeführt. Dort hätten einzelne Personen die Truppen bedroht. Der Sprecher der US-Streitkräfte in Afghanistan, Brian Tribus, räumte ein, dabei könnte versehentlich die medizinische Einrichtung getroffen worden sein. US-Verteidigungsminister Ashton Carter erklärte: "Eine vollständige Untersuchung des tragischen Vorfalls ist in Abstimmung mit der afghanischen Regierung im Gange."

Geodaten allen Konfliktparteien bekannt

Nach Angaben von "Ärzte ohne Grenzen" wurden allen Konfliktparteien die genauen Geodaten ihrer Einrichtungen vorsorglich mehrfach übermittelt, zuletzt am 29. September. Nach Beginn des nächtlichen Angriffs habe man zudem das amerikanische und afghanische Militär erneut kontaktiert; dennoch habe das Bombardement noch mehr als 30 Minuten angehalten.

Die Klinik wird ausschließlich aus Spenden finanziert und bietet kostenlose Hilfe für Unfall- und Kriegsopfer an - unabhängig von Herkunft oder Religion und auch für verwundete Taliban. Die Organisation, die seit 1980 in Afghanistan arbeitet, bestritt aber energisch Vorwürfe des afghanischen Verteidigungsministeriums, Taliban-Kämpfer hätten die Klinik als Unterschlupf genutzt. Taliban-Sprecher Zabiullah Mujahid sagte: "Keiner unserer Kämpfer war zum Zeitpunkt des Angriffs ein Patient der Klinik."

"Verwundete Kämpfer sind nicht-kämpfende Zivilisten"

"Die Tore des Geländes waren nachts alle verschlossen, so dass zum Zeitpunkt des Angriffs außer Mitarbeitern und Patienten niemand in der Klinik war", erklärte "Ärzte ohne Grenzen". Zudem sei jeder Patient - auch verwundete Taliban-Kämpfer - nach dem humanitären Völkerrecht ein nicht-kämpfender Zivilist. "In keinem Fall kann die Bombardierung eines funktionierenden Krankenhauses gerechtfertigt sein", hieß es.

Nach Angaben von Augenzeugen verbrannten bei debn Angriffen viele Patienten in der überfüllten Klinik. Die Organisation veröffentlichte Bilder von der in Flammen stehenden Klinik und den massiven Schäden. Auf einem Foto kümmern sich Ärzte in einem überfüllten kleinen Raum um verletzte Patienten und Mitarbeiter. "Die Bomben schlugen ein und dann hörten wir, wie die Maschine Kreise flog", wurde der Leiter der MSF-Mission in Nordafghanistan, Heman Nagarathnam, in einer Mitteilung zitiert. "Dann gab es eine Pause und dann schlugen noch mehr Bomben ein."

(APA/dpa/AFP/Reuters)

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