Schäuble fordert Begrenzung des Flüchtlingsstroms

Wolfgang Schäuble und Angela Merkel ringen in der CDU/CSU um einen Kurs in der Flüchtlingsfrage.
Wolfgang Schäuble und Angela Merkel ringen in der CDU/CSU um einen Kurs in der Flüchtlingsfrage.(c) REUTERS
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Merkels Kurs gerät unter Druck. "Mehr geht nicht mehr", lautet der Tenor der Kritiker. Die CSU will einen Aufnahmestopp. Schäuble eine europäische Lösung.

Wien/Berlin. Bei den Jubiläumsfeiern zur deutschen Einheit in der Alten Oper in Frankfurt/Main und abends am Reichstag in Berlin nahm Angela Merkel am Samstag gewohnheitsmäßig in der ersten Reihe neben Bundespräsident Joachim Gauck die Ovationen entgegen. Vor Wochen von Flüchtlingen noch als „Mama Merkel“ gefeiert, via Selfies und Poster zur Politikone stilisiert, begleitet vom Geraune über den möglichen Lorbeer einer Friedensnobelpreisträgerin, wird es in der Flüchtlingskrise indessen zunehmend einsam um die deutsche Kanzlerin und ihr neues Herzensprojekt. Just zum zehnjährigen Amtsjubiläum im November wächst sich die Frage zur schwierigsten Nagelprobe aus.

Dass der Druck nicht spurlos an der Parteiführung vorbeigeht, zeigt die Aussage von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Er fordert im ZDF am Sonntagabend eine Begrenzung des Flüchtlingsstroms nach Europa. Diese Aufgabe müsse aber europäisch gelöst werden. National ließe sich dies gar nicht mehr bewältigen. Europa müsse zwar aufnahmebereit sein, aber es gelte auch, dass Unmögliches nicht geleistet werden könne. Man könne den Menschen nur dann helfen, wenn die Möglichkeiten, die man habe, nicht erschöpft seien. "Die EU wird ganz schnell jetzt das machen, auch vor allen Dingen mit der Türkei." Dies sei entscheidend. "Grenzen um Deutschland herum helfen nun wirklich nichts, Zäune nicht und alles nicht."

In der CDU murren die Parteifreunde vernehmlich, diejenigen in der CSU fallen ihr in den Rücken, die Koalitionspartner von der SPD rücken von ihr ab, und in den Umfragen hat sie erstmals seit Jahren einige Prozentpunkte eingebüßt. Die Stimmung in Deutschland dreht sich, und ironischerweise hat es den Anschein, als hätten die Kanzlerin und der Präsident die Rollen getauscht.

Gauck, ein emotionaler Politiker mit dem Habitus des Pastors, kehrte bei seiner Rede zum Nationalfeiertag abermals den Wirklichkeitssinn heraus: „Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Der Satz beschreibt längst besser die Realität im Land als Merkels „Wir schaffen das“-Credo, die optimistische Parole, die die sonst pragmatische und nüchterne Vernunftpolitikerin angesichts des Flüchtlingsstroms ausgegeben hat. Die sommerliche Euphorie ist verpufft.

In Interviews zum Jubeltag der Wiedervereinigung mühte sich Merkel zwar nach Kräften, ihre liberale Position zu verteidigen: „Mit Zäunen werden wir das Problem nicht lösen.“ Doch gerät sie von allen Seiten immer mehr unter Druck. Unbeirrt und noch bestärkt von den Wahlergebnissen des Nachbarlandes Oberösterreich setzte Bayerns Ministerpräsident, Horst Seehofer, der sich kürzlich demonstrativ an die Seite des ungarischen Premiers, Viktor Orbán, gestellt hatte, seine Querschüsse gegen die Kanzlerin fort. Der CSU-Chef forderte ein klares Signal von der CDU-Vorsitzenden – ein Zeichen, dass „unsere Aufnahmemöglichkeiten erschöpft sind“. „Mehr geht nicht mehr“, lautet seine Devise. Sonst drohe angesichts von einer Million Flüchtlingen im heurigen Jahr – allein fast 300.000 im September – der Kollaps.

Merkel setzt auf langen Atem

In diesen Tenor fielen auch seine Adlaten aus München ein, ihre Forderungen werden immer drängender und rigoroser – von einem kompletten Aufnahmestopp und einer Schließung der Grenzen zu Österreich bis hin zu einer Einschränkung des Asylrechts, wie dies Markus Söder, der bayerische Finanzminister, vorschlug. Selbst vollmundige SPD-Politiker wie Parteichef Sigmar Gabriel sprechen inzwischen davon, dass Deutschland am Rande der Kapazitäten angelangt sei. Serienweise fordern – konservative wie sozialdemokratische – Ministerpräsidenten die Kanzlerin zum raschen Handeln auf.

In den Reihen der CDU rührt sich allerorts die Kritik. Da ist von einer „Hausordnung“ für Flüchtlinge die Rede und davon, dass in Deutschland nicht der Prophet die Gesetze mache, sondern das Parlament. Merkel setzt dagegen auf einen langen Atem und auf eine Lösung unter Einbindung der Türkei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2015)

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