Analyse: Flüchtlinge im Visier der Islamisten

Koranverteilungen auf der Straße wären zu offensichtlich, Extremisten gehen bei der Rekrutierung von Flüchtlingen subtiler vor.
Koranverteilungen auf der Straße wären zu offensichtlich, Extremisten gehen bei der Rekrutierung von Flüchtlingen subtiler vor.(c) Stanislav Jenis
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Meldungen, dass radikale Muslime Kontakt zu Asylwerbern suchen, häufen sich. Dabei treten sie weniger als plumpe Werber für den Jihad, denn als Botschafter der Nächstenliebe auf.

Wien. Die Vielzahl an Menschen, die derzeit im Strom der Flüchtlinge ins Land kommen, bringen Personalverantwortliche unterschiedlichster Sektoren auf ähnliche Ideen. Es klingt seltsam, tatsächlich stellt die schiere Masse an Einwanderern nicht nur für die Wirtschaft, die bereits angekündigt hat, sich gezielt ausländische Fachkräfte herauspicken zu wollen, eine Möglichkeit für die Zukunft dar.

Auch die Führungskräfte der Islamisten bewerten den Zuzug längst als das, was Manager unter dem Begriff Human Resources zusammenfassen. Zuletzt häuften sich von Deutschland ausgehend Meldungen, dass radikale Muslime unter Flüchtlingen auf Rekrutierungstour sind. Zuletzt bestätigte Österreichs Staatsschutz im ORF-Radio ähnliche Beobachtungen. Wie ist das einzuordnen?

Strategisch passt die Entwicklung ins Bild. Vor wenigen Monaten schrieb das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in einer Analyse über Sympathisanten des sogenannten Islamischen Staats (IS) und von al-Qaida: „Gegenwärtig liegt der Fokus der Aktivitäten der Gruppierungen auf der Rekrutierung neuer Mitglieder.“ Allerdings unterscheiden sich die Lebensbedingungen der hiesigen Zielgruppe (insbesondere junge Muslime der zweiten und dritten Generation sowie Konvertiten) deutlich von jener, die jetzt in großer Zahl ins Land kommt. Entsprechend anders sind die Methoden.

Punkteten – vor allem salafistische – Ideologen radikaler Moscheevereine bisher eher mit martialischen Predigten, geht man es bei den Flüchtlingen (noch) eher sanft an. Immerhin sind viele nur deshalb auf der Flucht, weil sie genug haben von extremen Standpunkten. Exemplarisch hierfür steht ein in einem österreichischen Zeltquartier beobachteter Vorfall, bei dem mehrere Personen mit langen Bärten und traditionell salafistischer Kleidung Kontakt zu den Bewohnern suchten. Die Betreiber wurden misstrauisch, informierten die Behörden. Tatsächlich verteilten die Männer nur Lebensmittel und Getränke. Der Polizei erzählten sie, dass sie „hilfsbereit sein wollten“.

Humanitäre Hilfe als Köder

Österreichs Staatsschutz und auch ausländische Nachrichtendienste bezweifeln, dass derartige Aktionen nur aus Nächstenliebe geschehen. Bereits im Frühling warnte US-Geheimdienstkoordinator James Clapper davor, dass die vielen Flüchtlinge aus dem Nahen Osten einen Rekrutierungspool für radikale Islamisten darstellen könnten. Anfang September konkretisierte der Verfassungsschutz im deutschen Nordrhein-Westfalen diese Befürchtung mit eigenen Erkenntnissen. Demnach würden die Extremisten ihre wahren Absichten zunächst fast immer verschleiern und das Anbieten von humanitärer Hilfe zur Kontaktaufnahme nutzen. Etwa so, wie es der radikale Salafistenprediger Pierre Vogel vor drei Wochen Mitbrüdern per Videobotschaft empfahl. Gemeinsam mit seinem konvertierten Gefolgsmann Sven Lau – er nennt sich Abu Adam – rief er dazu auf, mit Nahrung und Kleidung humanitäre Hilfe zu leisten.

Kleidung sei allerdings nicht nur wegen des nahenden Winters wichtig. Viele Frauen hätten auf der langen und beschwerlichen Reise nämlich nicht die Möglichkeit, sich zu verschleiern, müssten häufig – so Lau – mit Toilettenpapier improvisieren. Das Spenden eines Hidschabs könnte helfen. Und was vor allem Vogel „sehr wichtig“ ist: „Dass man hingeht, damit sie sich hier zu Hause fühlen und an das Gebet erinnern.“

Annäherung für die Zukunft

Auf Basis dieser sehr behutsamen Kontaktaufnahme zu den Neuankömmlingen, unter denen sich neben Sunniten auch Schiiten, Alawiten, Christen und Drusen befinden, sind zuverlässige Gefährdungsprognosen für die Analysten der Sicherheitsbehörden kaum zu stellen. Im BVT bewertet man die bisher beobachteten Aktivitäten daher als langfristig geplante Annäherungsversuche für die Zukunft. Für eine Zeit, in der einige der Flüchtlinge hier sesshaft sein werden. Jene, die dereinst enttäuscht auf ihr neues Leben in Europa zurückblicken, könnten sich, so die Befürchtung, dann an jene zurückerinnern, die ihnen damals schon geholfen haben.

AUF EINEN BLICK

Radikalisierung. Beim Verfassungsschutz steigt die Sorge, dass islamistische Extremisten Flüchtlinge als neue Mitglieder rekrutieren könnten. Die perfide Vorgehensweise: Unter dem Vorwand der humanitären Hilfe nehmen sie Kontakt zu den Flüchtlingen auf und versuchen so, langfristig ihr Vertrauen zu gewinnen, für ihre Ideologien einzuspannen und zu radikalisieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2015)

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