Kommen und Gehen auf Lesbos bei Faymann-Visite

Bundeskanzler Werner Faymann und sein Gastgeber, Premier Alexis Tsipras, beim Lokalaugenschein auf der Insel Lesbos, einer der großen Anlaufstellen für Flüchtlinge.
Bundeskanzler Werner Faymann und sein Gastgeber, Premier Alexis Tsipras, beim Lokalaugenschein auf der Insel Lesbos, einer der großen Anlaufstellen für Flüchtlinge.(c) REUTERS (HANDOUT)
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Österreichs Bundeskanzler flog zum Lokalaugenschein nach Lesbos. Er sprach auf der Insel mit Premier Alexis Tsipras über die Sammelstellen für Flüchtlinge, die dort bis November errichtet werden sollen.

Athen/Lesbos. Reges Kommen und Gehen in der griechischen Ost-Ägäis: Während Österreichs Kanzler, Werner Faymann, das Flugzeug für seinen Kurztrip nach Lesbos bestieg, verabschiedeten sich von der Insel tausende Flüchtlinge auf von der Regierung gecharterten Fährschiffen Richtung Piräus. Über 7000 Migranten vor allem aus Lesbos, aber auch von anderen Inseln, trafen am Dienstag im Hafen der griechischen Hauptstadt Athen ein. Zugleich warteten auf Lesbos noch mehr als 4000 Neuankömmlinge auf ihre Registrierung; insgesamt befanden sich nach Angaben des griechischen Migrationsministers Giannis Mouzalas noch 8340 Flüchtlinge auf der Insel. Der Minister wies Medienberichte zurück, wonach die griechischen Behörden die Insel Lesbos vor dem Besuch von Faymann von Flüchtlingen „geräumt“ hätten.

Als Faymann am frühen Nachmittag auf der Insel eintraf, wo er mit Griechenlands Ministerpräsident, Alexis Tsipras, zusammenkam, interessierte er sich vor allem für den Registrierungsvorgang der Ankömmlinge. Griechenland avancierte 2015 zum Haupteinfallstor für Flüchtlinge Richtung EU, etwa 400.000 sind heuer bisher bereits gekommen – mehr als doppelt so viele wie im Frühjahr angenommen. Die meisten drängen in Booten von der Türkei aus zu den nahen griechischen Inseln.

Dem Ansturm waren und sind Griechenlands Behörden nicht gewachsen. Österreich will 100 Beamte zur Verfügung stellen, die bei der Kontrolle in den fünf griechischen Hotspots in der Ost-Ägäis helfen sollen.

„Europäisches Problem“

Alexis Tsipras' Botschaft: „Die Flüchtlinge sind ein europäisches Problem.“ Faymann widersprach nicht, er wollte vor allem wissen, ob die Illegalen tatsächlich effektiv kontrolliert werden. Denn ein Großteil der Menschen wird früher oder später in Mitteleuropa, in Österreich, ankommen: Allein im September hat das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR 153.000 Ankömmlinge in Griechenland gezählt, über 90?Prozent der Flüchtlinge kommen der griechischen Polizei zufolge aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak. Das heißt, sie haben Anspruch auf Schutz; doch nur ein Bruchteil, knapp über tausend, sucht in Griechenland um Asyl an.

Illegale Einwanderer, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen, sollen künftig bereits in den Hotspots aufgefangen und wieder in die Türkei zurückgeschickt werden. Dazu aber ist eine ausreichende Infrastruktur notwendig.

Faymann besuchte auf Lesbos gleich zwei Flüchtlingslager; eines für syrische Flüchtlinge und eines für die restlichen Nationen. Da die Syrer das weitaus größte Kontingent stellen, wurde für sie bereits im Frühsommer ein „Fast Track“-Verfahren eingeführt, das Kontrolle und Ausgabe von Papieren in 24 Stunden ermöglichen soll.

Andere mussten länger warten. Das führte im Hochsommer zu wilden Prügelszenen zwischen den Flüchtlingsnationen. Die Lage geriet außer Kontrolle, kurzfristig mussten Spezialeinsatzkräfte der griechischen Polizei aus Athen auf die Ferieninseln entsandt werden. Inzwischen ist Ruhe eingekehrt, seit Anfang September werden die Flüchtlinge im Eiltempo nach Europa verfrachtet.

Flaschenhals in Athen

Einziger Flaschenhals sind derzeit die Plätze und Parks in Athens Zentrum, die Flüchtlinge frequentieren, um sich untereinander oder mit ihren Schleppern über die Weiterreise zu verständigen.

Trotz lautstarker Vorwarnungen waren die griechischen Behörden im Frühjahr nicht auf die Flüchtlingsinvasion vorbereitet. Die Schaffung von Aufnahmezentren war von der konservativen Regierung, die bis Jänner 2015 regierte, vernachlässigt worden, die Bürgermeister vieler Urlauberinseln wollten keine gemeindeeigene Infrastruktur zur Verfügung stellen, weil sie keine dauerhaften „Flüchtlingskolonien“ auf ihren Inseln wünschten. Wenn sie nun um staatliche und internationale Hilfe rufen, weil Tausende in den Häfen und Gassen der Inselstädte lagern, sagen sie also nur einen Teil der Wahrheit.

Aber auch die seit Jänner regierende Syriza-Regierung konnte keine Ordnung ins Chaos bringen. Das führte nach den Parlamentswahlen vom 20.?September zu einem einmaligen Vorgang: Der Bürokrat, der in der nur einen Monat amtierenden Übergangsregierung den Posten des Immigrationsministers übernommen hatte, war so unerwartet effektiv, dass er in der neuen Regierung seinen Posten behielt.

An den Hotspots in Samos, Chios, Lesbos, Kos und Leros sollen in den nächsten Wochen und Monaten 66.000 Flüchtlinge in europäische Auffangländer verteilt werden – keine leichte Aufgabe für die überforderte griechische Asylbehörde, die vor drei Jahren mit EU-Hilfe reorganisiert wurde, aber unter Personalmangel leidet. Welche Aufgaben die etwa 100 österreichischen Helfer übernehmen sollen, ist zur Zeit noch offen.

Natürlich sind die dramatisch großen Flüchtlingsströme auch in Griechenland längst ein politisches Thema. So konnten die griechischen Neonazis der Goldenen Morgenröte gerade auf den betroffenen Inseln ihre Wählerbasis vergrößern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2015)

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