Analyse: Alfred Nobel und das Oslo-Syndrom

Einmal im Jahr schaut die Welt nach Oslo. Am Freitag wird der diesjährige Friedensnobelpreisträger verkündet.
Einmal im Jahr schaut die Welt nach Oslo. Am Freitag wird der diesjährige Friedensnobelpreisträger verkündet.(c) EPA (Heiko Junge)
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Wie norwegische Parteiideologen den Friedensnobelpreis von den Visionen des Stifters abgekoppelt haben und dafür nützen, um sich vor der Weltöffentlichkeit in Szene zu setzen.

Die Nobelstiftung in Stockholm richtet an das Nobelinstitut in Oslo weder Kritik noch Lob. Und man verteidigt es auch nicht. Man schweigt lieber ein bisschen herablassend. In Oslo ist man ein bisschen herablassend, ohne zu schweigen. Geir Lundestad (bis Jahresbeginn Direktor des Nobelinstituts): „Wir behaupten nicht, fehlerfrei zu sein. Aber die? Die tun so. Dabei haben sie 1949 den Medizinpreis an Moniz für Lobotomie vergeben“ – eine später als unmenschliche Folter verbotene Hirnoperation.

Oslo vergibt die Königsklasse der Nobelpreise und generiert mehr globale Aufmerksamkeit als alle Stockholmer Nobelpreise zusammen. Das hält man in Stockholm noch aus. Doch die große öffentliche Aufmerksamkeit wird hauptsächlich von Disput befeuert, und die teils überschießende Selbstinszenierung Oslos scheint spätestens mit (dem Friedensnobelpreis an US-Präsident Barack) Obama den Bogen überspannt zu haben. Oslo ist Zugpferd und Problembär. Es ist zu einer Imagegefahr für Stockholm geworden.

Das historische und psychopolitische Problem ist die Okkupation des Friedenspreiskomitees durch Parteiideologen. Das norwegische Parlament hat nicht, wie von Alfred Nobel gewünscht, bestimmte, aufgabenspezifisch qualifizierte Personen in das Komitee entsendet, sondern sich selbst hineingesetzt.

Zur Zeit Nobels war das norwegische Parlament jedenfalls bekannt für seine Kompetenz in Sachen Frieden und Gewaltfreiheit sowie für seine friedenspolitischen Bemühungen. Dieses „Storting“ sollte daher nach Nobels Willen die Mitglieder jenes Gremiums wählen, das unabhängig über die Vergabe des Preises für „Verbrüderung von Nationen, Abschaffung stehender Armeen und Ausrichtung von Friedenskongressen“ entscheiden sollte. Die von Nobel gemeinte Unabhängigkeit sollte die Freiheit der Entscheidungen des Parlaments schützen. Doch Nobel hat in sein Testament keine Klausel eingebaut, die umgekehrt seine Preisidee vor dem Parlament schützt.

Vertreter der Nato-Doktrin

Offiziell okkupiert und unter den Parteien aufgeteilt wurde das politisch so gut brauchbare Nobelkomitee im Parlamentsjahr 1948. Das Parlament beschloss, die Entscheidungsgewalt über die Entsendung der Mitglieder abzugeben und den Parteien zu überlassen. Und zwar nach dem Proporzsystem: Jede im Parlament sitzende Partei konnte ab sofort, entsprechend ihrer relativen Stärke, Komiteemitglieder bestimmen und entsenden.

Ab jetzt war endgültig klar, dass im norwegischen Nobelkomitee keine Vertreter der Nobel'schen Friedensvisionen mehr saßen, die unabhängig von politischen Trends den Geist des Letzten Willens Alfred Nobels umsetzen wollten, sondern Repräsentanten der Verteidigungsdoktrin des Nato-Mitglieds Norwegen. Und ab sofort gab es nie wieder einen Friedensnobelpreisträger, der tatsächlich gegen die militärischen Interessen der Nato oder der der Nato angeschlossenen Wirtschaft, sprich: der Waffenindustrie, war.

2015 gab es personelle Änderungen bei den zwei wichtigsten Funktionen im Friedenspreiskomitee: Geir Lundestad, seit 20 Jahren Sekretär des Komitees und Direktor des Nobelinstituts, ist seit Jahresbeginn in Pension, sein Nachfolger ist Olav Njølstad. Und der Komiteevorsitzende Thorbjørn Jagland wurde von Karin Cecilie Kullmann Five als Chef abgelöst, sitzt aber weiter im Komitee.

„Kaci“ Kullmann Five war von 2000 bis 2003 Ersatzmitglied des Komitees und ist seither reguläres Mitglied. In ihre Zeit fallen Friedensnobelpreise unter anderem an Al Gore, Martti Athisaari, Barack Obama, Liu Xiaobo oder die Europäische Union. Beim Antritt ihrer neuen Funktion als Vorsitzende hat sie Jagland für seine Präsidentschaft in hohen Tönen gelobt. Die Neuerung im Komitee ist also keine personelle Änderung, sondern ein Sesseltausch.

Wird diesmal Merkel geehrt?

Wer wird 2015 also Träger des Friedensnobelpreises? Die Liste aller Nominierten umfasst 276 Kandidaten, 49 davon sind keine Einzelpersonen, sondern Organisationen. Zuletzt wurde die deutsche Kanzlerin Angela Merkel von vielen Medien als Favoritin für den Friedenspreis genannt. Sie habe mit ihrer „Wir schaffen das“-Politik der weltweiten Diskussion um die europäische Flüchtlingskrise einen neuen Dreh und eine humanitäre Note gegeben. Deshalb habe die Kanzlerin beste Chancen auf die Auszeichnung.

Merkel selbst aber schränkte treffend ein, wenn auch mit der geschmeichelten Zurückhaltung, mit der man ungelegte Eier nicht am Gelegtwerden stört. Sie sagte: „Der Friedensnobelpreis wird nicht von den Medien vergeben.“

Wie weit auch ihre Leistungen von den Preiskriterien des Alfred Nobel entfernt ist, undenkbar wäre eine Verleihung nicht. Auf der Liste finden sich auch Persönlichkeiten, die den Originalkriterien Alfred Nobels entsprechen oder nahekommen würden, die aber wegen der traditionellen Politik des Preiskomitees mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Chance auf die Auszeichnung haben.

Chancenloser Snowden

Einer der nominierten Kandidaten beschert dem Nobelfriedenskomitee 2015 ein besonderes Dilemma: Edward Snowden, der vom Rechtswissenschaftler Terje Einarsen von der Universität Bergen, Norwegen, nominiert wurde. Snowden wäre der mit Abstand Beste, wenn es um das gewohnte Programm des Friedenspreiskomitees geht. Vor allem deshalb, weil der Whistleblower auf einem globalen, heißen Thema sitzt, damit ungebrochene weltweite Aufmerksamkeit genießt und sich das Preiskomitee solche Situationen seit jeher gern zunutze macht.

Mit Snowden könnte sich das Friedenskomitee wieder in eine hitzige, globale Diskussion einmischen und als Welt-Weisenrat signalisieren, wer nun recht habe. Snowdens Leistungen sind außerdem nach der gängigen Praxis des Friedenskomitees leicht als Friedensarbeit im Sinn Nobels zu interpretieren:

Man sagt einfach, Snowdens Enthüllungen würden Menschenrechte und damit die Demokratie schützen und das habe etwas mit den Bedingungen für Frieden zu tun. Doch Snowden ist chancenlos. Er kann es gar nicht werden. Sie würden gern, können aber nicht. Sie würden es nie wagen.

AUTOR UND BUCH

Emil Bobi arbeitete 15 Jahre lang als investigativer Journalist für das Nachrichtenmagazin „Profil“. Der vorliegende Text basiert auf seinem neuen Buch, für das er in Oslo recherchiert hat:

„Der Friedensnobelpreis“, 192 Seiten, Econ-Verlag, 18,95 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2015)

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