"Mutige innerislamische Debatte wäre notwendig"

Die Jugendlichen, die nach Europa kommen, bringen andere Werte mit, sagt Mansour.
Die Jugendlichen, die nach Europa kommen, bringen andere Werte mit, sagt Mansour.(c) Imago/Jens Jeske
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Der palästinensisch-israelische Psychologe und Islamismus-Experte Ahmad Mansour warnt davor, Flüchtlinge generell als potenzielle Extremisten wahrzunehmen. Anwerbung von Salafisten finde aber statt – besonders unbegleitete Minderjährige sind betroffen.

Die Presse: Viele heißen Flüchtlinge in Deutschland und Österreich willkommen. Ein großer Teil der Bevölkerung hat aber auch Angst vor einer Radikalisierung dieser Menschen. Finden Sie, dass diese Angst berechtigt ist?

Ahmad Mansour: Wenn es um Islamismus geht, habe ich selbst Angst. Es reichen zwei, drei Personen, um ein Land oder einen Kontinent unsicher zu machen. Flüchtlinge als potenzielle Extremisten zu sehen, halte ich für falsch. Das Thema Islamisten oder Salafisten ist nicht erst mit den Flüchtlingen gekommen, es beschäftigt uns seit Jahren, nur ist unser politisches Gedächtnis kurz. Es radikalisieren sich vor allem deutsche Jugendliche, die hier geboren und aufgewachsen sind, mit oder ohne Migrationshintergrund. Das ist ein Thema der Jugend, weniger ein Thema der Flüchtlinge.

Nun kommen aber vor allem junge muslimische Männer nach Deutschland. Das wird früher oder später zu einem Problem, wenn sie in der Gesellschaft nicht Fuß fassen können.

Flüchtlinge können ein Gewinn für Europa sein, trotzdem sind die Jugendlichen, die zu uns kommen, anders sozialisiert, bringen andere Werte mit. Das kann zu Konflikten führen. Aber aufgrund von zukünftigen Konflikten können wir die Menschen doch nicht ablehnen oder Stimmung gegen sie machen. Wir müssen unsere Energie investieren, um sie zu erreichen. Wir müssen den Menschen nicht nur Perspektiven eröffnen, sondern ihnen auch unsere Werte beibringen. Es geht aber nicht darum zu sagen, was jemand darf oder nicht darf. Sondern darum, den Jugendlichen den Mehrwert dieser Werte zu vermitteln.

Immer wieder gibt es Berichte von Salafisten, die vor Flüchtlingsunterkünften versuchen, Leute anzuwerben. Was kann man tun?

Die Salafisten versuchen vor allem, unbegleitete Minderjährige in Asylheimen anzusprechen. Erst wenn Menschen hier keine Perspektive bekommen, Ablehnung erfahren, in dieser Gesellschaft nicht ankommen und die Betreuung der Flüchtlinge fragwürdigen Vereinen überlassen wird, entsteht die Anfälligkeit für Radikalisierung.

Die jungen Menschen, die hier in Deutschland aufwachsen, hätten in der Theorie Perspektiven und Möglichkeiten, etwas aus sich zu machen. Warum driften dann manche trotzdem in die Radikalität ab?

Natürlich spielen Diskriminierung und Rassismus eine Rolle. Wir vergessen aber auch, dass es psychologische Gründe gibt. Da geht es zum Beispiel um eine fehlende Vaterfigur oder persönliche Krisen oder um Menschen, die den Übergang von der Schule zum Beruf nicht schaffen. Da geht es um Menschen, die mit einem Islamverständnis aufwachsen, das die Basis für ihre Radikalisierung schafft. Auch bestimmte Islamverständnisse, die in Europa leider weitverbreitet sind, tragen oft zu Radikalisierung bei.

Von welchem Islamverständnis reden wir?

Wenn in Moscheen Angstpädagogik betrieben, Sexualität tabuisiert, Feind- und Opferbild gepflegt und ein Buchstabenglaube verbreitet wird, schaffe ich die Basis für Radikale. Daher wäre eine mutige innerislamische Debatte notwendig. So gesehen finden die vaterlosen Jugendlichen bei Radikalen eine starke Alternative. Die sagen ihnen klar, wo es langgeht.

Warum gibt es diese innerislamische Debatte nicht längst?

Weil wir es in Deutschland teilweise mit konservativen Verbänden zu tun haben, die nicht bereit sind, diesen mutigen Schritt zu gehen. Wenn man ihnen ihr Islamverständnis wegnehmen würde, dann reagierten sie natürlich nicht begeistertet. Ich halte solche Strukturen für kritisch unfähig. Ich will aber nicht verallgemeinern. Ich glaube, dass der Islam gerade in Europa anfängt, sich mit solchen Inhalten auseinanderzusetzen. Das ist zwar erst der absolute Anfang, aber andere Religionen haben auch lang gebraucht. Wir benötigen unsere Zeit, was aber nicht bedeuten sollte abzuwarten. Man muss Alternativen schaffen.

Wollen Sie damit sagen, dass der in Deutschland verbreitete Islam den Grundstein für Radikalität legt?

Teilweise ja, die Salafisten haben aber nichts Neues erfunden, sie greifen nur bestehende weitverbreitet Inhalte auf und überspitzen sie. Eine echte Präventionsarbeit bedeutet daher vor allem eine mutige innerislamische Debatte.

Wer den Islam kritisiert, wird schnell in ein rechtes Eck gestellt. Gibt es zu viel falsche Toleranz?

Wir brauchen eine differenzierte Debatte, keine Verharmlosung oder Panikmache. Wenn der Schwimmunterricht nicht mehr stattfindet, weil viele muslimische Mädchen nicht daran teilnehmen dürfen, muss man das ansprechen. Alles andere wäre ignorant. Man muss sich fragen, wie man reagieren würde, wenn ein deutsches Kind ohne Migrationshintergrund nicht mehr an solchen Veranstaltungen teilnehmen darf. Diese Doppelmoral lehne ich ab.

Haben Sie den Eindruck, dass die Muslime in Deutschland in einer Parallelgesellschaft leben?

Es es gibt Gruppen, die Parallelgesellschaften geschaffen haben. Und da sind Pädagogik und Politik Teil des Problems. Es gibt naive Politiker, die nicht wahrnehmen und sehen, mit wem sie da eigentlich arbeiten. Ich kenne aber genug Muslime, die Teil der Gesellschaft sind. Die sind nicht auffällig, und man redet nicht über sie.

Aber diese Leute sind oft nicht mehr gläubig.

Doch. Es ist die Frage, was gläubig bedeutet. Lassen wir die Salafisten definieren, was gläubig ist? Oder lassen wir das jeden auf seine Art und Weise sagen? Ich bezeichne mich auch als Muslim und sehe keinen Widerspruch zwischen Demokratie, Menschenrechten und meinem Glauben. Und da gibt es genug andere, bei denen das auch so ist.

Zur Person

Ahmad Mansour (*1976) ist israelischer Palästinenser und lebt seit 2004 in Berlin. Der Psychologe engagiert sich in Projekten für Deradikalisierung und gegen Extremismus bei Jugendlichen. Zum Thema Salafismus und Antisemitismus hat er zahlreiche Beiträge veröffentlicht. Am 8. Oktober erschien sein neues Buch „Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen“ im Fischer Verlag.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2015)

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