Ukraine: "Ich als Minister verdiene 200 Euro"

Russische Investoren können in der Ukraine nicht mitbieten, sagt Abromavičius.
Russische Investoren können in der Ukraine nicht mitbieten, sagt Abromavičius.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Der in Litauen geborene Finanzmanager Aivaras Abromavičius ist seit knapp einem Jahr ukrainischer Wirtschaftsminister. Er will die Privatisierungen vorantreiben und internationale Experten in die Ukraine holen.

Die Presse: Die Privatisierung von Staatsunternehmen ist eine Ihrer Prioritäten. Wie wollen Sie sicherstellen, dass sie gute Investoren finden, die tatsächlich Interesse haben, ein Unternehmen am Laufen zu halten und es nicht auszunehmen?

Aivaras Abromavičius: Für die wichtigsten Privatisierungsgeschäfte werden wir internationale Berater engagieren, sodass wir Publicity bekommen, um strategische Investoren anzuziehen.

Können russische Investoren mitbieten?

Laut Gesetz ist es russischen Investoren nicht gestattet, an der Privatisierung teilzunehmen. Das Land ist ein Aggressor.

Das kann man umgehen.

Das glaube ich nicht. Wir schauen sehr genau bei den Eigentümern. Russland hat andere Sorgen, als bei der Privatisierung in einem Nachbarland teilzunehmen.

Der Beginn der Privatisierung wurde auf Anfang nächsten Jahres verschoben. Warum?

Es ist nur eine geringfügige Verschiebung, ein paar Gesetze müssen angepasst werden. Wir haben für die erste Welle 302 Unternehmen identifiziert. In der Liste sind zehn Großunternehmen, der Großteil sind kleinere Firmen. Das größte ist Odessa Port Plant, es ist ein Düngemittelerzeuger am Hafen Odessa. Es wird unsere erste Privatisierung. Schon jetzt gibt es großes internationales Interesse.

Wie viele Unternehmen hätten Sie denn gern auf Ihrer Liste?

Es gibt etwa 3300 Staatsbetriebe, nur 1827 davon sind in Betrieb. Die Mehrzahl ist eher klein. Die Top 100 bringen 80 Prozent der Erlöse und 90 Prozent der Assets, es gibt also eine hohe Konzentration.

Sie wollen den Staatssektor umkrempeln. Dagegen gibt es große Widerstände.

In meinem früheren Job als Investmentbanker habe ich Corporate Governance in Staatsbetrieben verbessert. Ich weiß sehr gut, was zu tun ist. Widerstand von Interessensgruppen sehe ich als Herausforderung. Es gibt Leute, die Staatsbetriebe seit 20 Jahren oder länger in der Hand haben, klar wollen sie keine Veränderung. Der Rat zur Reform von Staatsbetrieben, den ich geschaffen habe, steht unter dem Vorsitz von Micheil Saakaschwili, Gouverneur von Odessa. Außerdem dabei sind Leute von Soros Fund Management, der Chef der Warschauer Börse und ukrainische CEOs. Wir wollen verändern, wie CEOs ernannt und bezahlt werden, wir wollen Bewerbungen von außen. Internationaler Audit wird verpflichtend.

Sie haben es schon gesagt: In der Ukraine sind informelle Netzwerke lebenswichtig. Wie wollen Sie Erfolg haben, wenn Sie nicht Teil des Netzwerks sind?

Ich bin Teil des formellen Netzwerks als Minister. Wir haben viele Minister, die ähnlich denken, eine kritische Masse in der Regierung, in der Präsidialadministration und im Parlament.

Wie viel Prozent machen die Reformer in der Regierung aus?

Sicher die Mehrheit. Drei von 18 Ministern sind eingebürgerte Ausländer, die Hälfte der Minister war noch nie Teil der Regierung. Sie sind unverdorben vom System.

Viele sagen, die ukrainischen Behörden seien so korrupt, weil die Löhne niedrig sind. Ist die Anhebung der Löhne ein Rezept?

Nein. Man kann nicht die Löhne für alle in diesem System anheben und Veränderungen erwarten. Das Gehalt ist Teil des Problems. Welcher Qualifizierte bewirbt sich um einen Job mit 200 Euro Gehalt? Man muss Posten kürzen, und dann neue, qualifizierte Leute zu höheren Löhnen einstellen.

Wie viel verdienen Sie?

Ich als Minister verdiene 4884 Hrywnja, also 200 Euro.

Normalerweise würde man dafür keinen Experten finden.

Es ist eine Ehre, diesen Job für eine gewisse Zeit zu machen. Jemand wie ich, der 18 Jahre lang erfolgreich in der Privatwirtschaft war, kann sich das leisten. Außerdem verdient meine Frau sehr gut, sie unterstützt mich (lacht).

Derzeit gibt es eine Wirtschaftsblockade der Krim. Manche treten für eine volle Blockade des Donbass ein. Wie stehen Sie als Wirtschaftsminister dazu?

Jede Blockade schadet den Handelsbeziehungen und der Wirtschaft. Ich als Fürsprecher des freien Markts sehe das nicht gern. Aber: Unser Land ist im Krieg. Die Krim-Blockade wurde initiiert, um die Menschenrechtsverletzungen auf der russisch besetzten Krim zu thematisieren. Das kann man schwer kritisieren.

Aber es schwächt eine Wirtschaft, die ohnehin schwach ist.

Ich hoffe, dass es eine temporäre Maßnahme ist. Nur durch Reformen und Wirtschaftswachstum können wir darauf hoffen, dass die Menschen dort sagen: Die Lebensbedingungen in der Ukraine verbessern sich, es gibt Meinungs- und Reisefreiheit – wir wollen wieder zusammenleben. Das ist unser Ziel.

ZUR PERSON

Aivaras Abromavičius (39) ist gebürtiger Litauer und ukrainischer Wirtschafts- und Handelsminister. Er arbeitete als Fondsmanager beim schwedischen East Capital. Seit sieben Jahren lebt er in Kiew. Er ist mit einer Ukrainerin verheiratet, die aus Donezk stammt, und hat drei Kinder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kämpfer der prorussischen Separatisten in Aleksandrovsk bei Luhansk.
Außenpolitik

Separatisten verschieben Wahlen ins nächste Jahr

Die umstrittenen Regionalwahlen sollen erst im nächsten Jahr stattfinden. Die Nato spricht von "Hoffnung" und möglichter "Schwungkraft".
Außenpolitik

Entschärft sich die Lage im Donbass?

Nach Feuerpause und Einigung über Waffenabzug gibt es erstmals Chancen für eine politische Lösung in der Ostukraine. Doch noch liegen Stolpersteine im Weg - etwa die Lokalwahlen.
Mitglieder der ukrainischen Nationalgarde bei Militärübungen.
Außenpolitik

Separatisten in Ostukraine beginnen mit Waffen-Teilabzug

Die prorussischen Separatisten stationieren ihre Panzer 15 Kilometer vor der Front. Auch die ukrainische Führung soll ihr Kriegsgerät abziehen.
Martin Sajdik
Außenpolitik

Sajdik: „Den Menschen das Leben vereinfachen“

Martin Sajdik, OSZE-Vermittler im Ostukraine-Konflikt, hält eine Stabilisierung vor Ort für möglich.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.