Flüchtlingskrise: Bayern droht Merkel mit Alleingang

Bavarian state Premier Seehofer addresses news conference in Munich
Bavarian state Premier Seehofer addresses news conference in Munich(c) REUTERS (MICHAELA REHLE)
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Bayern fordert die deutsche Bundesregierung auf, die Zuwanderung sofort zu begrenzen. Es will Notmaßnahmen ergreifen, wenn Merkel nicht handelt.

München/Berlin. Horst Seehofer weiß, wie man um Aufmerksam buhlt. Medienwirksam hat er für den gestrigen Freitag eine Pressekonferenz anberaumt, um Notmaßnahmen zu verkünden. Der bayerische Ministerpräsident wird vorerst aber weder Transitzonen an der Grenze errichten, noch Flüchtlinge nach Österreich zurücksenden – so wie das vielfach vermutet wurde. Vielmehr will er in seinem Bundesland Geld bereitstellen, um der Lage Herr zu werden.

Dass sich Bayern in naher Zukunft vor Flüchtlingen abschottet oder es zumindest versucht, ist jedoch nicht ausgeschlossen. Die Landesregierung teilte mit, sich anlassbezogene Maßnahmen in diese Richtung vorzubehalten, sofern die Regierung in Berlin nicht tätig werde. Die Landesregierung fordert daher weiterhin eine Begrenzung der Zuwanderung, nicht nur, um die innere Sicherheit zu gewährleisten, sondern auch, um die Solidarität in der Bevölkerung zu erhalten. Handelt der Bund nicht, schließt der Freistaat den Gang vor den Bundesverfassungsgerichtshof nicht aus.

Innenminister Joachim Herrmann unterstrich weiters die Verpflichtung der anderen EU-Staaten, die bei ihnen ankommenden Flüchtlinge aufzunehmen. Wenn etwa die Dublin- und Schengen-Regeln nicht wieder befolgt würden, müsse eben die Bundesrepublik Deutschland „davon Gebrauch machen, Flüchtlinge unmittelbar an der Grenze zurückzuweisen“.

An der Grenze der Belastbarkeit

Seehofers Notmaßnahmen beschränkten sich daher auf ein Programm zur Integration der Flüchtlinge. Er will in Bayern nicht nur tausende Stellen schaffen, sondern auch ein Integrationsgesetz auf den Weg bringen „um gemeinsame Werte“ abzustecken.

Im Freistaat Bayern trafen zwischen dem 1. September und dem 3. Oktober 225.000 Flüchtlinge ein. Die Einreise erfolgte fast ausschließlich über das benachbarte Österreich. Das Bundesland sieht sich daher an der Grenze der Belastbarkeit angekommen. Nicht zuletzt deswegen hat sich Horst Seehofer in den vergangenen Wochen laut und offen gegen die Linie der Bundeskanzlerin gestellt.

Merkel verliert Rückhalt in SPD

Bei einer Veranstaltung der Schwesterpartei CDU betonte Angela Merkel allerdings, dass die Überprüfung jedes einzelnen Flüchtlings notwendig sei. Man könne Asylwerbern aus sicheren Herkunftsstaaten weder die Einreise verwehren noch sie an die Grenze zurücksenden. Außerdem verwies sie auf das C im Namen der christlichen Parteien, das für eine besondere Verantwortung stehe und nicht nur für Sonntagsreden da sei.

Die Unmöglichkeit der Grenzschließung, von der Merkel kürzlich in einem Fernsehinterview sprach, will aber nicht nur Seehofer, sondern auch die SPD nicht länger hinnehmen. Die deutschen Sozialdemokraten, die in dieser Frage bisher eng an der Seite der Kanzlerin standen, äußerten nun ihren Unmut in einem Beitrag für den „Spiegel“.

Vizekanzler Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprachen sich dort offen für eine Begrenzung der Zuwanderung aus. „Wir können nicht dauerhaft in jedem Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge aufnehmen und integrieren.“ Zwischen „Wir schaffen das“ und „Das Boot ist voll“ dürfe sich die Diskussion allerdings nicht abspielen, sonst drohe „die Flüchtlingsfrage unsere Gesellschaft zu zerreißen“.

Die Stimmung in der Bevölkerung wird zunehmend schlechter. Dem ZDF-Politbarometer zufolge, hält die Mehrheit der Deutschen (51 Prozent) die Zahl der ankommenden Flüchtlinge nicht mehr für verkraftbar. Noch vor zwei Wochen war die Tendenz eine ganz andere. Damals sahen das nur 40 Prozent so. Bis September kamen rund 577.000 Flüchtlinge in die Bundesrepublik. (nst)

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2015)

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