Weißrussland: Lukaschenko nützt Ukraine-Krise

Lukaschenko
Lukaschenko (c) APA/BMEIA/DRAGAN TATIC (DRAGAN TATIC)
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Präsident Lukaschenko lässt sich am Sonntag zum fünften Mal wiederwählen. Die Opposition darf weitgehend Wahlkampf betreiben. Niemand zweifelt am Sieg des Autokraten.

Minsk. Ein eisiger Wind fegt über den Freiheitsplatz in Minsk. Etwas versteckt hinter dem alten Rathaus hat die Bürgeraktion „Sag die Wahrheit!“ ihre Stellwand und zwei Lautsprecher aufgestellt. Ein Barde singt den im Staatsradio lang verbotenen „Wende“-Song des Sowjetrockers Wiktor Tsoj. „Unser Herz verlangt nach der Wende“, krächzt der junge Mann in den Wind, nur ein paar Passanten bleiben stehen.

Genau dies verspricht wenige Minuten später auch die oppositionelle Präsidentschaftskandidatin Tatjana Korotkewitsch. „Wir brauchen eine Wende – aber nur eine friedliche“, betont die 38-jährige Psychologin. Nach über 70 Wählertreffen im ganzen Land wisse sie, dass vor allem soziale Fragen einer Lösung harrten, sagt die wichtigste Herausfordererin des amtierenden Staatspräsidenten, Aleksander Lukaschenko. Die gegängelte Privatwirtschaft müsse gestärkt und lokale Demokratie eingeführt werden, sagt Korotkewitsch. „Es geht nicht an, dass ein einziger Mann alles bestimmt“, sagt sie kämpferisch.

„Frauensolidarität“

Die bisher in Oppositionskreisen wenig bekannte Tatjana Korotkewitsch ist die Einzige, die es geschafft hat, die für eine Registrierung nötigen Unterschriften zusammenzubekommen. Neben ihr treten zwei vom Autokraten Lukaschenko sanktionierte Pseudo-Oppositionelle, der Liberale Sergej Hajdukewitsch und der Kosakenführer Nikolai Ulachowitsch, gegen das Staatsoberhaupt an. Lukaschenko will die Wiederwahl bereits zum fünften Mal schaffen. Seine Zielvorgabe liege bei 80 Prozent der Stimmen, verkündete er vor ein paar Tagen. Eine Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Nisepi gab ihm knapp über die Hälfte. Korotkewitsch von der Bürgeraktion „Sag die Wahrheit!“ kam auf immerhin auf 18 Prozent.

Doch die junge Psychologin hat die Opposition tief gespalten. Keiner der alten Oppositionsführer schaffte die nötige Zahl der Unterschriften; die meisten von ihnen rufen heute zum Wahlboykott auf. Dieser Position schloss sich indirekt auch die überraschende Literaturnobelpreisträgerin, Svetlana Aleksijewitsch, an. „Ich gehe nicht zu dieser Wahl, denn der Sieger ist bereits bekannt“, sagte sie. Sie könnte sich jedoch auch vorstellen, „aus Frauensolidarität“ für Korotkewitsch zu stimmen, sagte Aleksijewitsch, deren Bücher seit der Machtübernahme Lukaschenkos 1994 in Weißrussland nicht mehr gedruckt werden. Vielen Oppositionellen ist Korotkewitsch, die selten von Menschenrechten spricht, suspekt. Der unabhängige Politologe Walery Karabalewitsch findet jedoch im Gespräch mit der „Presse“, eine weniger radikale Herangehensweise entspreche der Stimmung im Land. „Die Ukraine-Krise hat die Weißrussen das Fürchten gelernt“, erklärt Karabalewitsch. Seit der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim sei allen, auch Lukaschenko, klar, dass Weißrussland Putins nächstes Opfer würde, wenn es zu einem dem Kreml nicht genehmen Machtwechsel käme.

Garant für Stabilität

Gleichzeitig werden die Weißrussen täglich mit Schauerbildern aus Donbass konfrontiert, sei es durch Lukaschenkos Staatsfernsehen oder die beliebten russischen TV-Sender. „Lukaschenko hat sich diese diffuse Angst sehr gut zunutze gemacht“, sagt der Politologe. In der Tat ist dies die erste Präsidentenwahl, bei der keine ökonomischen Erfolge vermeldet werden. Stattdessen stellt sich Lukaschenko als Garant für Stabilität, Sicherheit und Frieden dar.

„Lasst uns bloß in Ruhe mit euren Flugblättern, wir eilen zur Arbeit“, fauchen zwei Passantinnen in der Minsker Altstadt einen bärtigen Wahlhelfer von Tatjana Korotkewitsch an. Deren Stabschef, Andrei Dimitriew, lobt im Gespräch die Möglichkeit, überhaupt öffentlich zu agitieren. „Der Wahlkampf ist wie in allen totalitären Systemen sehr eingeschränkt“, sagt er, „aber nach der Wahl ist wieder alles verboten.“ Wenn die Stimmen am Sonntag wirklich gezählt würden, müsste es zur Stichwahl zwischen Lukaschenko und Korotkewitsch kommen, ist Dimitriew überzeugt. Dass dies geschieht, erwartet indes keiner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2015)

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