Flüchtlinge: "Deutschland hat falsche Signale gesetzt"

Joachim Herrmann
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Bayerns CSU-Innenminister Herrmann kritisiert seine Bundesregierung und wirft Österreich vor, Migranten in Bussen an die Grenze zu karren.

Bayern verlangt angesichts der Flüchtlingskrise eine sofortige Begrenzung der Zuwanderung. Wie soll das möglich sein? Sofort?

Joachim Herrmann:
Nicht nur Bayern, alle deutschen Bundesländer sind an der Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit angekommen. Deshalb erwarten wir von der Bundesregierung ein klares Signal.

Welches Signal soll das sein?

Die Bundesregierung muss zunächst deutlich erklären, dass Deutschland diese Begrenzung braucht. Und dann müssen natürlich auch die EU-Außengrenzen besser geschützt werden.

Es wird dauern, bis die EU-Außengrenzen besser bewacht werden.

Das muss so schnell wie möglich umgesetzt werden. Frontex (EU-Grenzschutzagentur, Anm.) muss gestärkt werden. Es muss eine Absprache mit der Türkei erfolgen. Das ist wohl auch eingeleitet.

Die deutsche Bundeskanzlerin, Merkel, sagt nach wie vor „Wir schaffen das“. Das klingt nicht nach einem Begrenzungssignal.

Wir bekennen uns weiter zu unserer Hilfsbereitschaft, aber sie kann rein faktisch nicht unbegrenzt sein. Jeden Tag kommen bis zu 7000 Menschen zu uns über die österreichisch-deutsche Grenze. Das ergibt im Verlauf von 365 Tagen rein mathematisch eine Größenordnung von bis zu 2,5 Millionen. Es ist offenkundig, dass das auf Dauer nicht verkraftbar ist. Kollegen der Polizei, Kameraden des Roten Kreuzes, der Bundeswehr und viele Ehrenamtliche setzen sich bis zur Erschöpfung ein. Wer das wahrnimmt, spürt, dass wir an Grenzen stoßen. Es hat keinen Sinn, davor die Augen zu verschließen. Ich will keine Zäune errichten. Keiner redet davon, die Grenze zu schließen. Wir wollen auch im nächsten Jahr sicherlich einigen Flüchtlingen helfen. Aber der Massenansturm in den vergangenen Wochen geht über unsere Kräfte. Das sollten wir in Deutschland jetzt einmal vernünftig zum Ausdruck bringen.

Bayern behält sich eigene Schritte vor, wenn die Bundesregierung die Zuwanderung nicht drosselt. Was soll das bitte heißen? Will sich Bayern über die Bundesregierung und Vorschriften des Bundes hinwegsetzen und selbst die Grenze abriegeln?

Wir erwarten von der Bundesregierung konkretes Handeln. Wenn der Bund nicht handelt, behalten wir uns vor, selbst zu handeln. Dann können wir nicht tatenlos zuschauen. Wie die Notmaßnahmen aussehen, werden wir erst sagen, wenn es so weit ist.

Es war die Rede von Transitzonen, um Flüchtlinge gleich an der Grenze zurückweisen zu können. Das hat Kanzlerin Merkel aber bereits abgelehnt.

Ich treffe am Sonntag in Berlin mit den anderen Innenministern Deutschlands die Bundeskanzlerin. Mir ist die Haltung der Bundesregierung noch nicht ganz klar. Denn es gibt ja einen Referenten-Gesetzesentwurf des Bundesinnenministeriums, in dem solche Transitzonen enthalten sind.

Sie werfen Österreich vor, EU-Recht zu brechen. Was genau stört Sie an Österreichs Verhalten in der Flüchtlingskrise?

Laut Dublin-Verordnung sind EU-Mitglieder angehalten, Flüchtlinge, die bei ihnen ankommen, zu registrieren und Verfahren durchzuführen. Österreich hat zwei Möglichkeiten: Entweder stellt es fest, dass da jemand aus einem Land kommt, in dem man ihn schon hätte aufnehmen müssen. Dann muss Österreich diese Person zurückschicken, nach Slowenien oder Ungarn. Oder Österreich nimmt diese Leute selbst auf. Aber Österreich schickt sie einfach weiter. Ich sprach das Problem vor einem Jahr schon gegenüber Italien an. Dort fing es an. Das ist ein Missstand, ein klarer Verstoß gegen die Dublin-Verordnung und das Schengen-Abkommen. Die Ursache liegt nicht bei Österreich, sondern bei Griechenland und Italien. Und dann setzt sich dieser Missstand fort.

Das Dublin-System ist zusammengebrochen. Soll Österreich Asylwerber, die nach Deutschland wollen, anbinden und zwingen, ihre Anträge in Österreich zu stellen?

Mir ist klar: Deutschland hat falsche Signale gesetzt und den Eindruck erweckt, es wäre okay, wenn sich Leute auf den Weg nach Deutschland machen. Diesen Prozess müssen wir rückgängig machen. Wir müssen dem Recht, Dublin und Schengen, wieder volle Geltung verschaffen. Mich überraschen die Reaktionen aus Wien nicht, wonach Österreich auf die Bremse treten würde, sobald Deutschland auf die Bremse tritt. Genau das wollen wir.

Wie lang werden die Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze aufrecht sein? Was bringen sie, wenn die Flüchtlinge ja doch nach Deutschland kommen?

Ich will zu ordnungsgemäßen und rechtmäßigen Zuständen in der EU zurückkehren. Mir geht es nicht nur um die Zahl der Flüchtlinge, sondern auch um Fragen der inneren Sicherheit. Wir laufen Gefahr, völlig den Überblick zu verlieren, wer sich überhaupt in unseren Ländern aufhält.

Ich habe herausgehört, dass Sie über Österreich verärgert sind. Da Österreich Flüchtlinge nicht nur in Zügen, sondern auch in Bussen an die Grenze karrt?

Die Zusammenarbeit der bayerischen und österreichischen Polizei funktioniert sonst problemlos. Aber das ärgert mich in der Tat. Und zurzeit ärgern sich auch die Menschen im Landkreis Passau unheimlich, wenn sie sehen, dass Busse des Bundesheeres Flüchtlinge bis zwei Kilometer vor die bayerische Grenze bringen und den Menschen dann gesagt wird: „So, da lauft jetzt rüber, dort ist Deutschland.“

Wollen Sie, dass Österreich weniger Sonderzüge mit Flüchtlingen schickt?

Ich will die Zahl begrenzen. Ich wünsche mir vor allem, dass der Zustrom von Leuten, die nach wie vor aus dem Balkan kommen, beendet wird. Personen aus Mazedonien, Serbien und Albanien haben weder in Österreich noch in Deutschland Anspruch auf Asyl. Sie sollte man alle wieder zurückschicken. Mir ist es ein Anliegen, die Anzahl der Bürgerkriegsflüchtlinge in Kontingente zu bringen, die wir in der EU gemeinsam definieren.

Das heißt, Sie streben eine Obergrenze an.

Richtig.

Wollen Sie einen Sonderstatus für Kriegsflüchtlinge wie in den 1990er-Jahren für die „De-facto-Flüchtlinge“ aus Ex-Jugoslawien?

Das wäre sinnvoll. Das Asyl soll für jene gelten, die aus politischen, rassistischen, religiösen Gründen individuell verfolgt werden. Das bleibt unangetastet, betrifft aber nur eine kleine Minderheit. Für Menschen, die wie in Syrien vor dem Krieg fliehen, muss es Kontingente geben. So wie sie Großbritannien anbietet. Darauf sollten sich die Europäer insgesamt verständigen – in internationaler Absprache, mit den USA etwa.

Und für diese Kontingentflüchtlinge gäbe es dann keine Asylverfahren?

Richtig. Wir lassen es dann nicht mehr darauf ankommen, wer zufällig an unsere Grenze kommt. Wir holen die Flüchtlinge direkt ab: aus dem Libanon oder aus türkischen Lagern. So können wir auch Schleuser bekämpfen.

Wie wollen Sie verhindern, dass sich zusätzlich Flüchtlinge außerhalb der Kontingente so wie jetzt auch auf den Weg machen?

Das müssen wir abstellen und sagen: „Wer aus einer Bürgerkriegslage kommt, den nehmen wir grundsätzlich nicht mehr auf diesem Weg, sondern schicken ihn postwendend zurück.“

Aber wenn ein Flüchtling an Ihrer Grenze steht und „Asyl“ sagt, dann müssen Sie ihn laut internationalem Recht ja aufnehmen.

Recht auf Asyl im engeren Sinn hat jemand, der – unter Anführungsstrichen – „nur“ aus einem Bürgerkrieg flieht, eigentlich nicht.

Steckbrief

1956
Am 21. September: Joachim Herrmann wird als Sohn eines Rechtsprofessors in München geboren.

1994
Der Jurist und CSU-Politiker wird Mitglied des Bayerischen Landtags. Von Oktober 1998 bis September 1999 ist er Staatssekretär im Bayerischen Sozialministerium. Von 2003 bis 2007 ist Herrmann Chef der CSU-Fraktion im Landtag.

2007
Seit 16. Oktober 2007 ist Herrmann Bayerischer Staatsminister des Innern.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2015)

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