Nahost: Palästinensische Versuche, das Feuer zu ersticken

Left-wing Israeli protesters participate in a demonstration against the recent rise in Palestinian-Israeli violence in Jerusalem
Left-wing Israeli protesters participate in a demonstration against the recent rise in Palestinian-Israeli violence in Jerusalem(c) REUTERS (RONEN ZVULUN)
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Überwiegend junge Attentäter, die über soziale Netzwerke kommunizieren, griffen zuletzt verstärkt Juden mit Messern an. Doch die palästinensische Führung will verhindern, dass die Lage eskaliert und außer Kontrolle gerät.

Jerusalem. Eine im fünften Monat schwangere Frau und ein zweijähriges Mädchen sind am Sonntag bei einem israelischen Luftangriff auf den Gazastreifen ums Leben gekommen. Israels Luftwaffe zielte nach offizieller Version auf eine Waffenproduktionsstätte der Hamas. Mutter und Tochter starben, als ihr Wohnhaus einstürzte.

Der Luftangriff folgte auf schwere Auseinandersetzungen im Grenzgebiet zwischen Gaza und Israel. Neun Palästinenser waren am Wochenende erschossen worden, nachdem es Demonstranten gelungen war, die Grenzanlagen zu durchbrechen. Im Westjordanland zog sich ein israelischer Polizeibeamter leichte Verletzungen zu, als eine 31-jährige Palästinenserin an einem Kontrollpunkt kurz vor Jerusalem ihr Auto unter „Allah-ist-groß“-Rufen mit einem Gascontainer in Brand gesetzt haben soll.

Die zumeist sehr jungen Attentäter, die fast alle auf eigene Initiative agieren, haben in der aktuellen Gewaltwelle ihre Opfer fast immer mit Messern angegriffen. In den meisten Fällen verursachen sie lediglich leichte Verletzungen, bevor sie selbst „neutralisiert“ werden – so der Terminus der israelischen Sicherheitskräfte, der oft den Tod des Angreifers umschreibt.

Fast keine Schussattentate

„Zentrale Plattform dessen, was passiert, sind die sozialen Netzwerke“, erklärte Harel Chorev, Nahost-Experte am Mosche-Dayan-Zentrum der Tel Aviver Universität, gestern auf Anfrage. Vor allem die Hamas, die „im Westjordanland, das unter Kontrolle des palästinensischen Sicherheitsapparats und des israelischen Militärs steht, große organisatorische Probleme hat“, greife auf die Kommunikation per Internet zurück. Facebook, Twitter aber auch Smartphone-Applikationen dienten den Islamisten „sowohl zur Propaganda als auch bei der Organisierung der Proteste“.

Nach Informationen der liberalen Tageszeitung „Haaretz“, gehen die israelischen Nachrichtendienste davon aus, dass die palästinensische Führung derzeit alles daransetze, um „das Feuer zu ersticken“. Die palästinensische Polizei habe zugesagt, „Unruhen an Reibungspunkten“ zwischen Soldaten und Demonstranten zu unterbinden, zitiert das Blatt Armeeangehörige.

In nahezu jedem zweiten Haushalt im Westjordanland befindet sich eine Pistole, trotzdem ist in der akuten Krise erst einmal geschossen worden. Die Lektion der zweiten Intifada, die „für die Palästinenser im völligen Chaos endete“, sei, so Harel Chorev, der Grund dafür, dass die Kampfmethode vorläufig noch relativ harmlos bleibe. Die Attentate verübten überwiegend Amateure.

Für die palästinensische Führung sei es nicht nur von einem nationalen Interesse, die weitere Eskalation zu verhindern, sondern auch „mit Blick auf den innenpolitischen Konflikt“. Für Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und seine Sicherheitskräfte „geht es jetzt darum, die Demonstranten aufzuhalten, ohne sich den Zorn der Leute zuzuziehen“, so Chorev.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2015)

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