ICC-Chefanklägerin: „Libyen muss Saif Gaddafi ausliefern“

Fatou Bensouda
Fatou Bensouda(c) APA/EPA/PETER DEJONG / POOL (PETER DEJONG / POOL)
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Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) über Maßnahmen gegen IS-Kämpfer, die Jagd nach Omar al-Bashir und die Kritik der afrikanischen Länder.

Die Presse: Sie erwägen, gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) vorzugehen. Wie weit sind diese Pläne gediehen?

Fatou Bensouda: Das bezieht sich nur auf ausländische Kämpfer im IS. Syrien ist kein Vertragsstaat des Gerichtshofs. Aber wenn Kämpfer Bürger von Staaten sind, die das Rom-Statut ratifiziert haben, könnte der ICC zuständig sein. Ich habe Informationen angefordert, um eine Einschätzung abgeben zu können. Dieser Prozess läuft noch.

Haben Sie schon bestimmte Personen im Blick?

Nein. Ich muss betonen: Unsere Aufgabe ist es, die Hauptverantwortlichen von Verbrechen zu verfolgen. Wir müssen wissen, welche Rolle diese Kämpfer in der Hierarchie des IS spielen. Laut unseren bisherigen Informationen zählen die Angehörigen von Vertragsstaaten nicht zu den hochrangigsten IS-Befehlshabern.

Wäre es überhaupt möglich, in einer Kriegssituation wie in Syrien zu ermitteln?

So weit sind wir noch nicht. Sollte ich entscheiden, aktiv zu werden, wären es zunächst Vorermittlungen. Die Sicherheitslage würde sicherlich ein Problem darstellen. Aber darüber möchte ich derzeit nicht spekulieren.

Libyen weigert sich, Saif Gaddafi an den ICC auszuliefern, ein Gericht dort hat ihn sogar zum Tode verurteilt. Werden wir ihn jemals auf der Anklagebank in Den Haag sehen?

Das ist immer noch unser Fall. Libyen muss Saif al-Islam Gaddafi dem ICC übergeben – sofort und ohne Verzögerung. Wir können Libyen nur immer wieder daran erinnern. Und ich hoffe, dass Libyen ihn ausliefern wird.

Auslieferungen kann der Gerichtshof nicht erzwingen. Deshalb ist es bisher auch nicht gelungen, den prominentesten Angeklagten wie Sudans Präsidenten, Omar al-Bashir, den Prozess machen können. Ist es überhaupt sinnvoll, sich auf die größten Fische zu konzentrieren, wenn daraus nichts folgt?

Der Gerichtshof ist genau dafür geschaffen worden. Wir mögen Schwierigkeiten damit haben, die Fälle zum Prozess zu bringen, wegen des Schutzes, den diese Leute von staatlicher Seite erhalten. Aber das heißt nicht, dass sich der ICC nicht die Hauptverantwortlichen der Verbrechen vornehmen sollte.

Droht dem ICC nicht ein Glaubwürdigkeitsverlust, wenn er in den wichtigsten Fällen scheitert?

Nein, überhaupt nicht. Die Verantwortung, diese Personen festzunehmen, liegt aufseiten der Staaten. Wenn das nicht stattfindet, kann dafür nicht der ICC verantwortlich gemacht werden. Wir haben unsere Arbeit gemacht.

Im Juni hat die Regierung Südafrikas Omar al-Bashir ausreisen lassen, obwohl Südafrika dem ICC angehört und immer als Befürworter des Gerichts galt. Wie kann so etwas passieren?

Ich war darüber sehr enttäuscht. Aber es gibt auch Hoffnungszeichen. Die Verpflichtungen Südafrikas gegenüber dem ICC sind klar. Der Oberste Gerichtshof hat es als verfassungswidrig eingestuft, dass die Regierung al-Bashir nicht festgenommen hat.

Viele afrikanische Staaten stehen dem ICC kritisch gegenüber. Als Sie ins Amt kamen, war die Hoffnung groß, dass Sie Afrika mit dem ICC versöhnen könnten. Warum ist das nicht geschehen?

Das ist eine Frage der Wahrnehmung. Wahrnehmungen sind schwer zu ändern, vor allem wenn jene, die sie befördern, ein bestimmtes Ziel haben. Und das ist in diesem Fall, den ICC zu diskreditieren. Die Vorwürfe werden nicht von Fakten getragen.

Die Kritik lautet, dass der ICC bisher vor allem Fälle in Afrika in Angriff genommen hat und damit einseitig agiere.

Die meisten Fälle des ICC sind in Afrika, weil die meisten Anfragen aus Afrika kommen. Jeder Vertragsstaat kann den Gerichtshof bitten, aktiv zu werden, wenn er selbst nicht in der Lage ist, bestimmte Verbrechen auf seinem Territorium zu verfolgen. Das war so in Uganda, der Demokratischen Republik Kongo, Mali, Côte d'Ivoire und der Zentralafrikanischen Republik. Darfur im Sudan und Libyen sind da die Ausnahmen. Die Wahrheit ist also: Afrika ist auf den ICC zugegangen, nicht umgekehrt. Afrika hat damit eine Führungsrolle in der internationalen Strafjustiz eingenommen. Und: Viele afrikanische Staaten kooperieren mit uns.

Sie haben immer wieder beklagt, dass Zeugen eingeschüchtert, bedroht wurden. Die Anklage gegen den kenianischen Präsidenten, Uhuru Kenyatta, mussten sie dann wegen fehlender Beweise fallen lassen. Hat der ICC eine Schwäche beim Zeugenschutz?

Ja, unser Fall ist erodiert. Aber wir haben die Anklage nur zurückgezogen, es gab keinen Freispruch. Das heißt also nicht, dass der Fall nicht in einer anderen Form wieder aufgenommen werden kann, wenn sich die Beweislage bessert. Die Einflussnahme auf Zeugen ist ein großes Problem, das sich quer durch unsere Fälle zieht, nicht nur in Kenia. Das sind Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind. Aber damit müssen wir umgehen.

AUF EINEN BLICK

Fatou Bensouda, 54, ist seit 2012 Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag. Die Juristin aus Gambia war unter anderem Generalstaatsanwältin, Justizministerin und Rechtsanwältin in ihrem Heimatland, bevor sie am Ruanda-Tribunal in Arusha und als stellvertretende Anklägerin bei ICC eine Karriere in der internationalen Strafjustiz einschlug.

Der ICC wurde mit dem Rom-Statut 1998 geschaffen und nahm 2002 seine Arbeit auf. Ihm gehören 123 Staaten an. Er ist für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord zuständig, wenn sie auf dem Territorium eines Vertragsstaates oder durch Bürger eines Mitgliedstaates begangen wurden. Auch der Sicherheitsrat kann ihn mit Fällen betrauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2015)

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