Weißrussland: Kritik an "klassischer Sowjetwahl"

Der ewige Präsident: Lukaschenko gibt die Macht nicht ab.
Der ewige Präsident: Lukaschenko gibt die Macht nicht ab.(c) APA/EPA/TATYANA ZENKOVICH (TATYANA ZENKOVICH)
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Mit 83,5 Prozent wurde Aleksander Lukaschenko erneut zum Präsidenten gewählt, die OSZE kritisierte die "mangelnde Transparenz". In Minsk herrscht Resignation.

Minsk. Die vorläufigen Resultate der Präsidentenwahl sind gerade erst im staatlichen Pressezentrum auf dem Minsker Oktoberplatz verkündet worden, und schon wird das vorläufige Medienzentrum wieder abgebaut: „Keine Kommentare mehr, die Wahl ist gelaufen“, sagt ein lächelnder Kontrolleur am Eingang. Demnach ist Amtsinhaber Aleksander Lukaschenko mit 83,5 Prozent (2010: 79,7 Prozent) der Stimmen zum fünften Mal in Folge wiedergewählt worden. Abgeschlagen an zweiter Stelle landete demnach die junge Oppositionskandidatin Tatsjana Karatkiewitsch (4,4 Prozent). 7,1 Prozent sollen auf dem Wahlzettel die Option „gegen alle“ angekreuzt haben.

In Minsk herrscht Resignation. „Ich habe nicht abgestimmt, es gab doch gar keine Wahl“, sagt der Barmann in einem angesagten Lokal an einer Ecke der Leninstraße. Ein Kunde meint, er habe sehr wohl sein „Kreuzchen gemacht, für wen verrate ich nicht, denn es bleibt ja ohnehin alles schlecht“.

Die zerstrittene Opposition hat am Montag selten einmütig dazu aufgerufen, diese Präsidentenwahlen nicht anzuerkennen. Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisierte das Votum wegen „mangelnder Transparenz“. OSZE-Wahlbeobachtern sei bei der Stimmenauszählung gar die Sicht versperrt worden, so Kent Härstedt, Leiter der Wahlbeobachtermission. Weißrussland müsse noch einen langen Weg gehen, um den OSZE-Standards zu entsprechen. Nach der jüngsten Freilassung politischer Gefangener hatte man sich große Hoffnungen gemacht. „Diese sind enttäuscht worden.“

Die EU will bereits in den nächsten Tagen über die Zukunft der Sanktionen gegen Weißrussland entscheiden. Laut Informationen des Polnischen Radios schien ein Ende der Sanktionen möglich – nun wird Brüssel sich wohl auch daran erinnern müssen, dass Lukaschenko zwei politische Gefangene, Andrei Bondarenko und Michas Schemtschuschny, noch immer nicht begnadigt hat.

„Präsident wählt sich selbst“

„Das war eine klassische sowjetische Wahl: Die Staatsmacht wählt sich selbst“, kommentiert Politologe Walery Karbalewitsch. Er ist überzeugt, dass selbst die für eine Gültigkeit nötige Mindestwahlbeteiligung von 50 Prozent gefälscht ist. Laut offiziellen Angaben lag die Wahlbeteiligung bei 87 Prozent. Doch selbst am Wahlsonntag konnten viele Passanten kein Wahllokal benennen. Am Tag danach gibt etwa die Hälfte zufällig befragter Besucher der Einkaufspassage Nemiga an, sie hätten am Sonntag nicht abgestimmt. Lukaschenkos langjährige Leiterin der Zentralen Wahlkommission, Lidia Jermoschina, erklärt die hohe Beteiligung damit, dass 36 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme vorzeitig abgegeben hätten. „Ich glaube, dass die Stimmen gar nicht gezählt werden“, sagte Oppositionskandidatin Tatsjana Karatkiewitsch der „Presse“. Zum Protest gegen die erwartete Wahlfälschung wollte sie dennoch nicht aufrufen. „Die Staatsmacht reagiert darauf nur mit Gewalt, das nützt niemandem“, argumentierte sie.

Vor der letzten Wahl vor fünf Jahren hatte Lukaschenko nach Protesten hunderte von Oppositionellen teils für Jahre ins Gefängnis werfen lassen. Dennoch wagten Aktivisten der oppositionellen Jugendbewegung Junge Front am späten Sonntagabend, gegen die Wahlfälschungen zu demonstrieren. Angeführt vom ehemaligen Polithäftling Zmitser Daschkewitsch marschierten etwa hundert vor allem jugendliche Weißrussen mit Europaflaggen vom zentralen Oktoberplatz vor das Parlament. „Hoch lebe Weißrussland, Ehre der Ukraine!“, skandierten sie. Kurz vor Mitternacht war der Spuk vorbei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2015)

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