MH17: Buk aus "Gebiet, wo Rebellen Kontrolle hatten"

Wrackteile wurden bei der Präsentation des Abschlussberichts über das MH17-Unglück ausgestellt.
Wrackteile wurden bei der Präsentation des Abschlussberichts über das MH17-Unglück ausgestellt.(c) APA/EPA/ROBIN VAN LONKHUIJSEN
  • Drucken

Die Niederlande legen ihren Abschlussbericht vor. Der Vorsitzende des niederländischen Sichheitsrates spricht von einem Abschuss aus dem Separatisten-Gebiet.

Die Absturzursache ist geklärt, bleibt die Schuldfrage. Flug MH17 der Malaysia Airlines ist tatsächlich von einer bodengestützten Luftabwehrrakete des russischen Typs Buk abgeschossen worden. Das geht aus dem abschließenden Untersuchungsbericht hervor. Die Rakete sei auf der linken Seite des Cockpits detoniert.

Der Vorsitzende des niederländischen Sicherheitsrates, Tjibbe Joustra, sprach im niederländischen Fernsehen davon, dass die Raekte vom Gebiet der prorussischen Rebellen aus abgefeuert wurde. Bei der Vorstellung des Abschlussberichtes hatte Joustra zuvor noch erklärt, dass nicht genau festzustellen sei, wo die Rakete abgefeuert worden war. Später sagte er jedoch dem Fernsehen: "Es ist ein Gebiet, wo die Grenzen fließend waren. Aber es ist ein Gebiet, wo die pro-russischen Rebellen die Kontrolle hatten." Das bestätigte eine Sprecherin des Sicherheitsrates.

Im Bericht selbst steht nichts von einem eventuellen Abschussort. "Um den genauen Abschussort festzustellen, braucht es zusätzliche forensische Untersuchungen, aber das ist jenseits unseres Mandates", hatte Joustra zuvor der niederländischen Zeitung "de Volkskrant" gesagt.

Den Absturz selbst klärt der Bericht aber im Detail. Durch die Detonation selbst starben laut Bericht drei Personen im Cockpit. Der Frontteil des Flugzeugs brach daraufhin ab. Durch den Druckverlust verloren alle Insaßen laut Bericht innerhalb weniger Sekunden das Bewusstsein.
Kritik übt der Bericht an der Ukraine, dass der Luftraum über der Krisenregion nicht gesperrt wurde.

Das Geschoß explodierte auf der linken Cockpit-Seite und tötete direkt drei Personen.
Das Geschoß explodierte auf der linken Cockpit-Seite und tötete direkt drei Personen.(c) APA/EPA/ROBIN VAN LONKHUIJSEN (ROBIN VAN LONKHUIJSEN)

Enge Zusammenarbeit Niederlande und Ukraine

Der Bericht wurde von der Niederländischen Flugsicherheitsbehörde mithilfe zahlreicher internationaler Experten aus sieben Ländern verfasst. Wie OVV in dem Bericht schreibt, flogen im Juli 2014 insgesamt 61 Fluglinien (inklusive Malaysia Airlines) über die Region.

Die Schuldfrage ist Gegenstand noch laufender strafrechtlicher Ermittlungen. Da die meisten Opfer aus den Niederlanden kamen, leitet das Land auch die Untersuchungen.

Bei der Suche nach Schuldigen vereinbarten die Ukraine und die Niederlande am Dienstag eine enge Zusammenarbeit. Vertreter beider Länder wollten zunächst mit Kollegen aus Australien, Malaysia und Belgien die strafrechtlichen Ermittlungen zum Abschuss der Passagiermaschine über der Ostukraine abschließen, teilte das ukrainische Präsidialamt nach einem Telefonat des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko mit dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte mit. Anschließend solle ein "optimaler Mechanismus" gefunden werden, um die Schuldigen der Katastrophe von Juli 2014 zu bestrafen.

Schon in einem Zwischenbericht hieß es, die Boeing 777 mit 298 Menschen an Bord sei mutmaßlich von einer Buk-Rakete getroffen worden. Der Hersteller gab allerdings an, Raketen des Typs würden seit 1999 nicht mehr hergestellt, die ukrainischen Streitkräfte hätten aber noch Boden-Luft-Raketen des Typs in ihren Beständen.

Die Passagiere des Flugs hätten den Absturz ihrer Maschine kaum bewusst erlebt, teilten Angehörige der Opfer am Dienstag niederländischen Reportern in Den Haag mit. Sie waren zuvor über die Ergebnisse der Untersuchung zur Ursache der Katastrophe informiert worden. Demnach sollen die Passagiere innerhalb weniger Sekunden das Bewusstsein verloren haben.

Russischer Konzern liefert Gegendarstellung

Ein anderes Bild zeichnet der russische Rüstungskonzern Almas-Antej. Das Flugzeug sei von ukrainisch kontrolliertem Gebiet aus abgeschossen worden. Ein Test habe frühere Erkenntnisse des Unternehmens bestätigt, sagte Firmenchef Jan Nowikow am Dienstag der Agentur Interfax zufolge in Moskau. "Falls die Boeing mit einem Buk-M1-Raketensystem abgeschossen wurde, wurde sie von einer Rakete vom Typ 9M38 von Saroschtschenske aus getroffen", sagte der Leiter des Unternehmens, das die Buk-Systeme herstellt. Der ostukrainische Ort Saroschtschenske wurde zum Zeitpunkt der Tragödie von Regierungstruppen kontrolliert.

Almas-Antej habe am 7. Oktober ballistische Tests an einer Iljuschin Il-86 vorgenommen, weil der Flugzeugtyp der abgestürzten Boeing-777 gleiche, sagte Nowikow. Mehrere Ergebnisse daraus stünden im Gegensatz zu Aussagen der niederländischen Untersuchungskommission, meinte er. Dies betreffe unter anderem den Raketentyp 9M38, den die russische Armee bereits länger nicht mehr in ihrem Bestand führe. Generalkonstrukteur Michail Malyschewski sagte, die Boeing-777 sei damals auf der linken Seite getroffen worden. Das schließe einen Beschuss von Snischne aus. Der Ort war damals von moskautreuen Separatisten kontrolliert worden.

USA bleiben bei ihrer Einschätzung

Die USA werten den MH17-Bericht als wichtigen Meilenstein auf dem Weg, die Verantwortlichen für den Abschuss zur Rechenschaft zu ziehen. Die unabhängige Untersuchung werde als Basis weiterer Ermittlungen dienen, um die Verantwortlichen für die 298 Toten zu finden, erklärte der Sprecher des nationalen Sicherheitsrats, Ned Price, am Dienstag in Washington. Er fügte hinzu: "Unsere Einschätzung ist unverändert: MH17 wurde von einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen, die von Separatisten-kontrolliertem Gebiet in der Ostukraine abgefeuert wurde."

Das Flugabwehrraketensystem Buk

Im Absturzgebiet kämpften zum Zeitpunkt der Tragödie prorussische Rebellen und ukrainische Regierungstruppen, die sich gegenseitig für den Abschuss im Juli 2014 verantwortlich machen. Russland hatte die Untersuchung schon im Vorfeld als voreingenommen kritisiert. Da die meisten Opfer aus den Niederlanden kamen, hat das Land die Leitung der offiziellen Untersuchung.Das Flugabwehrraketensystem Buk ("Buche") wurde in der sowjetischen Armee 1979 eingeführt. Eine komplette Einheit besteht aus dem Kommandofahrzeug, einem Suchradar und mehreren Raketenfahrzeugen. Die Bedienung des Systems gilt als schwierig. Eine mehrmonatige intensive Ausbildung gilt Experten zufolge als Minimum, um das Kriegsgerät zu beherrschen.

Die für den Abschuss der malaysischen Boeing MH17 infrage kommende Modifikation M1 zerstört Ziele in einer Höhe von bis zu 22 Kilometern und ist innerhalb von fünf Minuten feuerbereit. Die Raketen explodieren in mehreren Metern Entfernung vor dem anvisierten Ziel. Die dabei entstehenden Splitter durchlöchern die Außenhaut des Flugzeugs, was zum Absturz führt. Die Abschusswahrscheinlichkeit mit einer Rakete beträgt bei Flugzeugen bis zu 96 Prozent.

Die ukrainische Armee hatte dem Londoner Internationalen Institut für Strategische Studien zufolge 2014 mehr als 60 Systeme des Typs Buk-M1 im Bestand. Dagegen hatte die Ukraine zuletzt behauptet, sie habe gar keine Buk-Systeme mehr. Russland verfügt über etwa 350 Systeme unterschiedlicher Modifikationen. Auch die prorussischen Rebellen in der Ostukraine sollen Buk-Raketen besitzen oder besessen haben.

>> Link zum Untersuchungsbericht (Englisch)

(APA/dpa/Reuters)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kommentare

Die Schuldfrage wird nie geklärt werden

Solange Russland nicht Teil der Untersuchungskommission sein, wird es nie eine Klärung der Schuldfrage geben.
Der Untersuchungsbericht zum Abschuss der Boeing 777 der Malaysia Airlines brachte neue Erkenntnisse.
Außenpolitik

Die sechs wichtigsten Ergebnisse des MH17-Reports

Das Flugzeug zerbrach in zehn Kilometern Höhe in der Luft. Die Insaßen waren innerhalb von Sekunden ohne Bewusstsein.
Außenpolitik

Fluglinien beunruhigt wegen russischer Raketen auf Syrien

Das russische Militär feuert auch Raketen über das Kaspische Meer und damit einer vielbeflogenen Route ab.
USA UN SECURITY COUNCIL
Außenpolitik

Russland blockiert Tribunal für MH17-Flug

Russland lehnt im UN-Sicherheitsrat eine Resolution ab, die ein unabhängiges Tribunal zum Abschuss des Fluges MH17 fordert.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.