Grenzschließung: Merkel weist Forderung ihrer Parteifreunde zurück

Angela Merkel.
Angela Merkel.(c) AFP (JOHN MACDOUGALL)
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Die deutsche Kanzlerin bleibt trotz zunehmenden Drucks aus CDU und CSU auf Kurs. In der Bevölkerung sinkt der Rückhalt für die „Wir schaffen das“-Politik.

Wien/Berlin. Angela Merkel sieht sich in der Flüchtlingskrise steigender Bedrängnis ihrer Parteifreunde ausgesetzt: Immer mehr Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion wollen das „Wir schaffen das“-Mantra der Kanzlerin nicht länger mittragen. Sie fordern restriktive Maßnahmen wie umfangreiche Grenzkontrollen und eine Einschränkung der Zuwanderung. Schätzungen gehen von 800.000 bis zu einer Million Flüchtlingen aus, die Deutschland bis Jahresende erreichen – für viele in der Union zu viel.

Der Zorn mehrerer Abgeordneter entfachte sich Dienstagabend bei einer gereizten Sitzung der Unionsparteien. Ungewohnt emotional sei es zugegangen, ließen Teilnehmer nach dem Treffen wissen. „Wir dürfen nicht die weiße Fahne hissen“, forderte Clemens Binninger, der im Innenausschuss u. a. die Themen Terrorbekämpfung und organisierte Kriminalität betreut. Laut „Bild“-Zeitung haben zudem 126 meist lokale Funktionäre einen mehrseitigen offenen Brief an Merkel unterschrieben, in dem die Schließung der Grenze gefordert wird. Fraktionsvorsitzender Thomas Strobl hat am gestrigen Mittwoch dennoch alles versucht, um die innerparteilichen Differenzen herunterzuspielen: Die Fraktion stehe geschlossen hinter Merkel, hat er im „ZDF-Morgenmagazin“ gesagt. Die Kanzlerin selbst will sich von ihrem Kurs ohnehin nicht abbringen lassen – und erteilt Forderungen nach einer Grenzschließung eine klare Absage. Kleinere europäische Länder auf der Balkan-Route – wie Österreich – würden ins Chaos gestoßen werden, warnte sie.

Doch auch Koalitionspartner SPD sitzt Merkel in der Flüchtlingsfrage im Nacken. Vizekanzler Sigmar Gabriel hält einen Vorschlag des Innenministeriums für Transitzonen an den Grenzen, wo schon vor der Einreise von Flüchtlingen Asylverfahren durchgeführt werden sollen, für rechtlich nicht machbar. „Transitzonen sind Haftzonen“, ließ er wissen – und sparte auch nicht mit Kritik an Innenminister Thomas de Maizière (CDU): Er, Gabriel, habe nicht gedacht, dass ein Verfassungsressort so etwas vorlege. Offenbar verfolge das Vorhaben das einzige Ziel, wieder Frieden zwischen CDU und CSU zu schaffen, hat der SPD-Chef gestichelt.

Rückhalt bei Bürgern sinkt

Doch neben dem Konflikt in der eigenen Partei und mit der SPD dürfte Merkel auch die zunehmend besorgte Stimmung in der Bevölkerung Kopfzerbrechen bereiten. Der anhaltende Flüchtlingszustrom nach Deutschland lässt die Aufnahmebereitschaft laut einer Umfrage nämlich immer mehr schwinden. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov veröffentlichte am Dienstag die Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung, derzufolge 56 Prozent der deutschen Bürger die Asylbewerberzahlen inzwischen für zu hoch halten. Mitte September hatten sich nur 46 Prozent der Befragten dieser Aussage angeschlossen. Umgekehrt sehen mittlerweile nur noch 19 Prozent Deutschland in der Lage, weitere Asylsuchende aufzunehmen (vorher: 28 %). Den Satz „Wir schaffen das“ teilen demnach bloß noch 32 Prozent der Bundesbürger (43 % bei der letzten Befragung Anfang September). Doppelt so viele sind inzwischen der gegenteiligen Meinung (zuvor 51 %).

Zur Entspannung für Merkel trägt nicht gerade bei, dass eine neue Forsa-Umfrage die Unionsparteien bei nur noch 38 Prozent Wählergunst sieht – dem niedrigsten Wert seit Juni 2014. (aga/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2015)

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