Köln: Attentat vor Wahl erschüttert die Domstadt

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Einen Tag vor der Oberbürgermeisterwahl in Köln stürzte sich ein 44-jähriger Arbeitsloser mit dem Messer auf Spitzenkandidatin Henriette Reker. Sie musste notoperiert werden. Fremdenhass dürfte den Mann zu der Bluttat getrieben haben.

Der 44-Jährige steht an der Ampel nahe des Tatorts im Kölner Stadtteil Braunsfeld. Kein Fluchtversuch, nichts. Widerstandslos lässt er sich festnehmen. So schildern es Augenzeugen. „Ich musste es tun, ich schütze euch alle“, soll er gesagt haben. Am Wochenmarkt, vor dem CDU-Informationsstand, beugen sich in der Zwischenzeit Ärzte über sein Opfer, dem er mit dem Messer in den Hals gestochen hat: Henriette Reker, die heute zur ersten Oberbürgermeisterin Kölns gewählt werden könnte. Doch diese Wahl ist nun „zweitrangig“, wie CDU-Landesparteichef Armin Laschet sagt. Die Domstadt steht unter Schock.

In ersten Medienberichten wird der Attentäter als geistig verwirrt beschrieben. Noch am Samstag sollte er von einem Psychiater untersucht werden. Doch zugleich verdichteten sich die Hinweise, dass der Mann ein politisches − genauer: „ein fremdenfeindliches Motiv“ − hatte, wie es die Polizei ausdrückt. „Merkel, Reker, Flüchtlingsschwemme“, soll er erklärt haben, als ihn die Beamten abführten, berichtet der Kölner „Express“. Indes berichtet "Spiegel Online", dass der aus Bonn stammenden 44-Jährige in 1990er-Jahren bei einer Neonazi-Gruppe aktiv gewesen sein soll. Auch bei der seit 1995 verbotenen FAP (Freiheitliche Deutsche Arbeitspartei) soll er Mitglied gewesen sein. In jüngster Zeit soll er vor allem in Internetforen durch seine Kommentare aufgefallen sein.

In den Verhören gab er allgemein „Ausländer“ als Motiv für das Attentat an, so die Polizei. Sein Opfer ist nicht nur Spitzenkandidatin in einem Wahlkampf, der sich auch um die Unterbringung von Flüchtlingen in der Domstadt gedreht hat. Reker ist schon jetzt als Sozialdezernentin für dieses Thema zuständig. „Die ersten Anzeichen sprechen für eine politisch motivierte Tat“, sagte auch Ralf Jäger, Nordrhein-Westfalens Innenminister. Als unauffälligen Zeitgenossen beschreiben Nachbarn laut Polizei den allein lebenden Attentäter. Am Samstag um 9.04 Uhr geht der arbeitslose Maler und Lackierer auf Reker zu. Sie verteilt an einem CDU-Infostand auf dem Wochenmarkt Rosen. Er fragt nach einer Blume. Reker zückt die Rose, der 44-Jährige das Messer. So schildert es Augenzeuge Ralph Sterck von der FDP in deutschen Zeitungen. Bilder vom Tatort zeigen später einen umgeworfenen Kübel voller Rosen. Nach dem Messerstich kommt es zu einem Handgemenge. Vier weitere Menschen werden zum Teil schwer verletzt, darunter die FDP-Politikerin Katja Hoyer, Frau des Chefs der Europäischen Investitionsbank. Später „blieb der Attentäter an der nächsten Ampel stehen und wartete“, sagt Jürgen Strahl von der CDU. Ein Bundespolizist ist privat auf dem Wochenmarkt und nimmt ihn in Gewahrsam, bis die Kollegen eintreffen. Bilder vom Tatort zeigen blutverschmierte weiße Tücher auf dem Boden. Daneben liegen Schirme der Grünen, mit denen versucht wurde, den Täter in die Flucht zu schlagen.

Die parteilose Reker wurde in einem sogenannten Jamaika-Vorstoß von CDU, Grünen und FDP unterstützt. Umfragen zufolge hatte die Juristin Chancen, sich bereits im ersten Wahlgang mit einer knappen absoluten Mehrheit als erste Frau und Parteilose das Oberbürgermeisteramt in Köln zu holen. Dabei hätte der Urnengang um die Nachfolge des nicht mehr antretenden SPD-Oberbürgermeisters, Jürgen Roters, schon am 13. September stattfinden sollen. Wegen fehlerhafter Stimmzettel ist er auf den heutigen Sonntag verschoben worden. Und die Wahl sollte trotz des Attentats heute stattfinden.

Reker selbst war unmittelbar nach dem Angriff ansprechbar. Oberbürgermeister Roters sagte, sie haben ihrem Mann noch vor der Not-OP erklärt, sie wolle heute wählen. Kurz nach dem Eingriff war die Juristin „stabil, aber noch nicht über den Berg“, sagte Kölns Polizeipräsident Wolfgang Albers am Samstagnachmittag.

Aufruf zu hoher Wahlbeteiligung.
SPD-Spitzenkandidat Jochen Ott setzte wegen der „schändlichen Tat“ den Wahlkampf aus. „Es kann nicht sein, dass man in einer Kommune kandidiert und Angst haben muss“, sagte er. Rekers Wahlkampfteam rief die Kölner auf, mit einer hohen Wahlbeteiligung ein „Zeichen der Solidarität“ zu setzen.

Das Attentat sandte Schockwellen durch die Bundesrepublik. „Das ist ein Angriff auf alle Demokraten“, schrieb etwa Justizminister Heiko Maas auf Twitter. In der politischen Debatte dürfte nun das Schlaglicht auf rechte Übergriffe im Schatten der „Willkommenskultur“ fallen. Mehr als 500 Angriffe auf Asylunterkünfte zählte das deutsche Bundeskriminalamt bereits in diesem Jahr. BKA-Chef Holger Münch treibt dabei noch ein anderer Umstand um, wie er unlängst in einem Interview sagte: Immer öfter würden Täter auffällig, die bisher nicht mit politisch motivierter Kriminalität in Verbindung gebracht worden seien, die das BKA also nicht auf dem Schirm hatte. Auch der Kölner Attentäter war laut Polizei bisher nicht aktenkundig.

Zugleich wecken die Bilder aus Köln Erinnerungen an ein politisches Attentat, das vor fast auf den Tag genau 25 Jahren Deutschland erschüttert hatte: Ein damals 36-Jähriger gab am 12. Oktober 1990 im badischen Oppenau zwei Schüsse ab. Sein Opfer sitzt seither im Rollstuhl: Finanzminister Wolfgang Schäuble.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2015)

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