Schweiz: Die Stunde der Rechtsparteien

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Die nationalkonservative Schweizer Volkspartei, schon bisher stärkste Kraft, ist der große Sieger der Parlamentswahlen. Das Ausländer-Thema hat gezogen – schon wieder.

Genf. Die Nachricht aus dem Kanton Graubünden in der Ostschweiz war das Sahnehäubchen auf dem Triumph der rechtspopulistischen Volkspartei: Magdalena Martullo-Blocher schaffte es überraschend in den Nationalrat. Hauptberuflich ist die 45-Jährige weiterhin Chefin des Großkonzerns Ems Chemie - aber vor allem auch die Tochter von Christoph Blocher, dem Hauptfinanzier und Gesicht der nationalkonservativen SVP. Der 75-Jährige ist zwar nicht mehr im Nationalrat, zieht aber noch immer die Fäden in „seiner“ Partei, die am Sonntag das beste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren hat.

Die SVP geht als klare Siegerin aus den Nationalratswahlen hervor. Sie hat 11 Sitze dazugewonnen und kommt damit auf den historischen Höchststand von 65 Sitzen. Es ist das beste Ergebnis in der Parteigeschichte. Auch die rechtsliberale FDP holte der Hochrechnung zufolge drei weitere Mandate. Viel wurde über einen "Rechtsruck" diskutiert. Renommierte Schweizer Zeitungen relativierten aber. Einen Schulterschluss der Rechtsbürgerlichen erwartet etwa Res Strehle, Chefredakteur des "Tages-Anzeigers", nicht.

Im Nationalrat hat die SVP zusammen mit der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) und den kleinen Rechtsparteien Lega und Mouvement Citoyen Genevois (MCG) nun mit 101 Sitzen die absolute Mehrheit. Die Sozialdemokraten (SP) büßten drei Sitze ein und haben nunmehr 43 Mandate. Auf die FDP entfallen 33 Abgeordnete. Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) verlor einen Sitz und verfügt nun über 28 Mandate.

48,41 Prozent der Wahlberechtigten haben sich laut Zählung der schweizerischen Nachrichtenagentur sda an den Nationalratswahlen beteiligt. Das sind etwas weniger als 2011 (48,5 Prozent) und etwas mehr als 2007 mit 48,3 Prozent.

Desaster für politische Mitte

Für die sogenannte politische Mitte, 2011 noch einer der Wahlsieger, setzte es ein Debakel: Die Stimmengewinne von SVP und FDP gingen unter anderen auf die Kosten der wirtschaftsfreundlichen Grünliberalen, einer Abspaltung der Grünen-Partei, die auf sieben Mandate fast halbiert wurde sowie der BDP: Die Abspaltung der SVP büßte zwei ihrer neun Mandate ein. Die Grünen stürzten von 15 auf zehn Mandate ab.

Der Sieg der SVP steht am Ende eines inhaltsarmen Wahlkampf, der auch ein Mitgrund für die erneut niedrige Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent sein dürfte – und in Youtube-Clips der SVP gipfelte: Darin war etwa Christoph Blocher in der Badehose zu sehen – oder Roger Köppel, der künftige SVP-Nationalrat, Dauer-Talkshow-Gast in Deutschland und Chefredakteur der „Weltwoche“, wie er mit heruntergelassener Hose auf dem Klo die von ihm verhassten Züricher „Wochenzeitung“ liest.

Auch die internationale Großwetterlage kam der SVP zupass. Denn wie immer seit Beginn ihres Aufstieges Anfang der Neunzigerjahre führte die Volkspartei auch den Wahlkampf der vergangenen Monate mit einer Angst- und Feindbildkampagne: gegen Flüchtlinge, Ausländer und die EU. Inhaltlich versprach die SVP, die Zuwanderung von Ausländern in die Schweiz zu begrenzen, Missbräuche im Asylwesen zu beseitigen und einen Anschluss der Alpenrepublik an die EU zu verhindern. Die Kampagne war erfolgreich, obwohl keine andere Partei für einen Beitritt zur EU eintritt und von den hunderttausenden Menschen, die in den vergangenen Monaten Zuflucht in europäischen Länder gesucht haben, die wenigsten in die Schweiz gekommen sind.

„Wir haben eine ungelöste Asylproblematik“, nannte SVP-Chef Toni Brunner am Sonntagabend im Fernsehen einen Grund für das starke Abschneiden seiner Partei. Die Wähler haben begriffen, dass die Situation viel ernster ist als sie scheint, sekundierte SVP-Nationalrat Guy Parmelin. Zweitstärkste Kraft im Nationalrat bleiben die Sozialdemokraten – trotz des prognostizierten Verlusts von zwei Mandaten. „Für die Linken und die Mitte war es schwierig, andere Terrains zu besetzen“, sagte SP-Vizepräsidentin Geraldine Savary mit Blick auf die alles überschattende Flüchtlingsthema.

Im Ständerat ist ein Rechtsruck ausgeblieben. Damit könnte der Graben zwischen National- und Ständerat noch tiefer werden. Vieles entscheidet sich jedoch erst im zweiten Wahlgang im November: Ein solcher ist in insgesamt zwölf Kantonen nötig. 19 der 46 Sitze sind nach dem ersten Wahlgang am Sonntag noch nicht besetzt.

„Taktische Spiele müssen aufhören“

Erst im Dezember wird die gemeinsame Bundesversammlung der 246 neu gewählten Nationalräte und Ständeräte die neue siebenköpfige Regierung, den Bundesrat, wählen. Die SVP hat bereits am Sonntagabend – unterstützt von der FDP – einen zweiten Bundesrattsitz verlangt. Rechnerisch würde das der Partei zustehen. Einfach wird das dennoch nicht. Ein Grund ist die traditionelle Konkordanzdemokratie, wonach die vier bis fünf stärksten Parteien alle in der Regierung vertreten sein sollen. SP, Grüne und die Parteien der Mitte könnten bei der Wahl der Regierung so erneut verhindern, dass die SVP einen zweiten Platz am Kabinettstisch erhält. Dass man jetzt mit taktischen Spielen aufhören sollte, sollte jetzt allen klar sein“, warnte SVP-Chef Brunner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2015)

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