Deutschland: Rechtsradikale Gewaltwelle

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Nach dem Messerangriff auf Kölns Bürgermeisterin warnt das Bundeskriminalamt vor mehr fremdenfeindlichen Attacken.

Berlin. Zuerst das Attentat auf die Oberbürgermeisterkandidatin von Köln, Henriette Reker. Wenige Tage später eine Drohung gegen den ostdeutschen Bürgermeister André Stahl. Es ist nicht auszuschließen, dass sich Angriffe wie diese in nächster Zeit mehren. Nicht nur Politiker, auch Betreiber von Asylunterkünften könnten davon betroffen sein, befürchtet das deutsche Bundeskriminalamt (BKA). Neben solchen Übergriffen seien auch „neue Protestformen“ möglich. Dazu zählt das BKA etwa Blockaden von Verkehrswegen, also Bahnstrecken oder Autobahnen, um die Ankunft von Flüchtlingen zu verhindern.

Die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte hat in Deutschland inzwischen ein hohes Niveau erreicht. Wurden im gesamten Vorjahr rund 200 Delikte registriert, sind es in diesem Jahr (bis 19. Oktober) bereits 576. Allein zwischen Juli und September kam es zu 285 Straftaten. SPD-Justizminister Heiko Maas bezeichnet dies als beschämend.

Rechtsmotivierte Täter sind für 523 dieser Übergriffe verantwortlich. 42Prozent handeln demnach allein, ein kleiner Prozentsatz verübt Angriffe in Gruppen, die sich aus mehr als sechs Personen zusammensetzen. Bei jenen, die der Polizei namentlich bekannt sind, handelt es sich in erster Linie um Männer. Ein Großteil stammt aus dem Ort, in dem die Straftat verübt wurde. BKA-Präsident Holger Münch zeigte sich erst kürzlich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk besorgt, dass immer wieder Täter auffällig würden, die bisher nicht mit politisch motivierter Kriminalität in Verbindung gebracht werden konnten. Seiner Ansicht nach steige das Radikalisierungspotenzial. Der Attentäter von Köln, der Reker niedergestochen hat, soll nicht als gewalttätiger Rechtsextremist bekannt gewesen sein.

Razzia gegen Rechtsextreme

Angaben des Verfassungsschutzes zufolge gab es bereits im Vorjahr einen Anstieg bei rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten, bei fremdenfeindlichen Gewalttaten wurde ein neuer Negativrekord erzielt. Das Potenzial rechtsextremistischer Kräfte wird mit 21.000 Personen beziffert, die Hälfte gilt als gewaltbereit. Erst am Donnerstag wurden in Franken bei einer Razzia gegen eine rechtsextreme Gruppe drei Verdächtige festgenommen.

Der anhaltende Flüchtlingsstrom bereitet einigen Teilen der deutschen Bevölkerung Sorgen. Im Osten der Bundesrepublik glauben etwa nur 36 Prozent der Bevölkerung, diese Krise zu meistern, während es im Westen knapp die Mehrheit ist. (nst)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2015)

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