Westjordanland: Attacken auf dem „heiligen“ Boden

MIDEAST PALESTINIANS ISRAEL CONFLICTS
MIDEAST PALESTINIANS ISRAEL CONFLICTS(c) APA/EPA/ABED AL HASHLAMOUN (ABED AL HASHLAMOUN)
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In Städten wie Hebron eskaliert derzeit die Gewalt zwischen Juden und Palästinensern. Israels Militär schützt radikale Siedler, die vor tätlichen Angriffen nicht haltmachen.

Hebron. Eine rigorose Sperranlage, gesichert von israelischem Militär und versehen mit Zementblöcken, einem haushohen Zaun, einem Drehkreuz für Besucher und einem mit Tarnnetz überzogenen Wachturm, trennt in Hebron die Zone H1 von H2. Sie ist lebensnotwendig, sonst würden sich die Erzrivalen des Nahostkonflikts an die Gurgel gehen. Denn in H1 lebt die überwiegende Mehrheit der 200.000 Palästinenser, in H2 haben die rund 700 radikalen jüdischen Siedler im Herzen der Stadt ihre selbst gewählte Enklave errichtet. „Dieses Land wurde von den Arabern gestohlen“, verkündet ein Schild.

In Hebron, wo David sein Königreich gründete, und der angrenzenden jüdischen Siedlung Kiryat Arba liegt einer der Brennpunkte der jüngsten Gewaltserie im Heiligen Land. Wie unter einem Brennglas fokussiert sich hier der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Von einer „Hebronisierung“ sprechen gar manche Analysten. Palästinensische Messerattentäter laufen hier serienweise Amok, einer hat sich jüngst perfide als Pressefotograf mit gelb-schwarzer Weste getarnt. Alle anderen Anschlagsversuche schlugen bisher fehl, auch wegen des massiven Militäraufgebots, das kurzen Prozess mit den Angreifern machte.

Israel betreibt einen eminenten Aufwand, um Leib und Leben der Siedler in der feindseligen Umgebung zu schützen: Für die Sicherheit der Siedler sorgt – grob gesagt – pro Kopf ein Soldat. Auf ihrem Stützpunkt auf zwei Hügeln, wo demonstrativ auch zwei Menora-Leuchter wie Statuen aufragen, haben die israelischen Armee-Einheiten Position bezogen – jederzeit zur Intervention bereit.

Unten liegt die Shuhada-Straße, einst eine pulsierende Einkaufsstraße im Zentrum Hebrons mit Falafel-, Obst- und Textilgeschäften. Heute verströmt sie mit ihren verbarrikadierten Läden und vergitterten Fenstern, aus denen die Davidstern-Fahne hängt, unter sengender Sonne im nunmehr jüdischen Viertel die Aura einer Geisterstadt. Sie führt hinauf zum Grab Abrahams, dem „Grab des Patriarchen“ – einer hochheiligen Stätte für Juden, Moslems und Christen und beinahe so heilig und wild umstritten wie der Tempelberg in Jerusalem.

An Wild-West-Manieren gemahnt auch die Auseinandersetzung zwischen den Siedlern und den Palästinensern. Die eine Seite bezichtigt die andere, die Gewalt zu provozieren und nachts heimlich durch die Straßen zu streifen, um Terror auszuüben. Einschüchterungstaktik oder Tatsachen? 1929 haben Araber hier ein Massaker an Juden verübt, 65 Jahre später rächte sich der jüdische Arzt Baruch Goldstein mit einem Massaker an Muslimen in der Ibrahim-Moschee. Während der Intifada schickte der Islamische Jihad Selbstmordattentäter aus Hebron nach Israel in den Tod. Es ist blutgetränkter Boden, auf dem sich die jüngste Eskalation im Nahostkonflikt vollzieht.

Die Aktivistin Anat Cohen und Ofer Ohana, der Sicherheitsbeauftragte der Siedler, haben es inzwischen zu notorischem Ruhm gebracht. Wie eine Furie verfolgt Cohen, deren Bruder bei einem Attentat ums Leben kam, friedliche palästinensische Eindringlinge mit gezücktem Autoschlüssel. Wie selbstverständlich trägt Ohana eine Waffe, kommandiert Militärs und Polizisten per Handy herum und schreit auf Hebräisch in einem Schwall auf Nadav Weiman ein, einen Landsmann und Kritiker: „Araberfreunde, Antisemiten, Nazis.“

„Araberfreunde und Nazis“

Weiman gehört der Organisation Breaking the Silence an, somit einem der Lieblingsgegner der Siedler. Die Initiative ehemaliger israelischer Soldaten, die die Menschenrechtsverletzungen im Militär anprangert, hat es sich zum Ziel gesetzt, die Absurdität des Siedlerdaseins in Hebron vor Augen zu führen. Der 29-Jährige, von vielen Israelis als Verräter punziert, hat als Scharfschütze einer Militäreinheit gedient. Auch in Hebron war er vor elf Jahren stationiert. Heute trägt er Bermuda-Shorts und T-Shirt. „Uns geht es darum, den moralischen Preis der Besatzung aufzuzeigen“, sagt er. „Wir verteidigen in Hebron nicht die Sicherheit Israels, sondern die der Siedler. Sie führen sich auf, als wären sie jenseits des Gesetzes.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2015)

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