Warum Russlands Syrien-Einsatz wenig Erfolg hat

Russian conscripts wait for medical tests at a recruiting station in Stavropol
Russian conscripts wait for medical tests at a recruiting station in Stavropol(c) REUTERS (EDUARD KORNIYENKO)
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Syriens Rebellen setzten den Regimetruppen mit TOW-Panzerabwehrwaffen zu. Moskaus Luftangriffe treffen wegen schlechter Aufklärung sehr oft nicht ihr Ziel.

Tag und Nacht starten die Flugzeuge von der russischen Luftwaffenbasis in der Nähe Latakias. Täglich sind es mindestens 40 Einsätze, zu denen 36 Jets und 20 Kampfhubschrauber abwechselnd abheben. Über 800 Ziele haben sie in Syrien angegriffen. Den Kreml kostete das bisher rund 100 Millionen Euro. Mit der eisernen Faust einer militärischen Großmacht wollte Russland möglichst schnell mit den Gegnern des Regimes von Präsident Bashar al-Assad aufräumen. Aber der Kreml scheint sich verrechnet zu haben. Fast drei Wochen nach Beginn der Offensive gegen die syrische Rebellen halten sich die Erfolge in bescheidenem Rahmen. Sie sind minimal im Vergleich zum hohen militärischen Einsatz und nur mit hohen Verluste zu erzielen. „50 Zentimeter Landgewinn für 24 verlorene Panzer und 250 Soldaten“, soll ein Offizier der syrischen Armee beklagt haben.

Seit Freitag sind die Rebellen an einigen Fronten sogar selbst zum Angriff übergegangen. In Aleppo wurde die syrische Armee von ihrer einzigen Nachschubroute abgeschnitten. Und das ausgerechnet vom Islamischen Staat (IS), den Russland als Grund für seine Militärintervention vorgeschoben hat, den es aber nur halbherzig angreift. Nach den ausbleibenden Erfolgen wird der Kreml ungeduldig und hat nun Spezialeinheiten aus der Ukraine nach Syrien abgezogen. Diese Elitetruppen sollen es nun richten.

Rebellen zerstören zahlreiche Panzer

Die Soldaten der syrischen Armee hatten mit großem Enthusiasmus den Beginn der Militärintervention der „russischen Brüder“ am 30. September begrüßt. Sieben Tage danach wurden sie in Latakia, Homs, Hama und Aleppo zu Tausenden an die Front geschickt. Trotz der russischer Luftunterstützung kam die Offensive der Armee nur schwer voran und konnte nur wenige Dörfer erobern. Es sind vorwiegend BGM-71-TOW-Panzerabwehrraketen amerikanischer Produktion, die den Vormarsch der Regierungstruppen so sehr verlangsamen. Mit den „rohrgestarteten, optisch verfolgten, drahtgelenkten Flugkörpern“ haben die Rebellen mittlerweile über 60 Panzer und andere gepanzerte Fahrzeuge zerstört. Und ohne ausreichend Schutz von Panzern gerät jede Bodenoffensive ins Schlamassel.

Insgesamt 39 sogenannte moderate Rebellengruppen, geprüft und durchgecheckt vom Pentagon, stehen auf der Empfängerliste für TOW-Raketen. Vorher wurden sie vom CIA in geheimen Operationen geliefert. Heute übernimmt das Saudiarabien, das eigenen Angaben zufolge mindestens 500 dieser Lenkwaffen seit Beginn der russischen Intervention zu den Rebellen gebracht hat. Zuvor wäre dies nicht möglich gewesen. Das Panzerabwehrsystem war auf Anweisung der USA nur in begrenzter Zahl und erst nach langer Prüfung einigen wenigen Rebelleneinheiten überlassen worden. Man befürchtete, diese schlagkräftige Waffe könnte in die Hände von Jihadisten fallen. Aber mit dem Eingreifen Russlands scheinen sich diese Vorbehalte zerstreut zu haben.

Sind diese TOW-Raketen nun zur kriegsentscheidenden Waffe geworden? Die russische Militärführung glaubt das nicht. Sie macht die syrische Armee verantwortlich. Ihre „Unfähigkeit und mangelnde Durchsetzungskraft“ sei der Hauptgrund für die ausbleibenden Erfolge. Das wurde auch in einem Gespräch deutlich, das die Rebellengruppe Tajammu al-Izza in Hama zwischen einem russischen und einem syrischen General abhören konnte. „Der Russe war sauer über die Fehler und Unzulänglichkeiten der Armee“, erzählte Raed Saleh, der Sprecher von Tajammu al-Izza, die ebenfalls zu den Empfängern der Panzerabwehrraketen gehören. Dem syrischen General sei daraufhin das Kommando entzogen worden. Aber es sollte nicht vergessen werden, so betonte Saleh, dass die Rebellen nun die Spielregeln geändert hätten: „Statt uns nur zu verteidigen, sind wir, von der Freien Syrischen Armee, zum Angriff übergegangen.“

Nach militärischen Gesichtspunkten sollte das eigentlich ganz anders sein. Denn nach über drei Wochen intensivem Bombardement müsste eine Bodenoffensive zügig vorangehen. Vorausgesetzt allerdings, dass die richtigen Ziele getroffen wurden. Aber das scheint nicht der Fall zu sein. „Wir haben oft nicht die geringste Ahnung, warum die Russen dieses oder jenes Gebäude bombardieren, die meist leer stehen oder von Zivilisten bewohnt werden“, behauptete ein Rebellenkommandeur aus Dschir al-Schugur. Dort hatten vor einem Angriff russische Drohnen zwei bis drei Tage lang Informationen gesammelt. So wurde das auch in anderen Rebellengebieten beobachtet. Aber diese kurzen Aufklärungsflüge der Drohnen scheinen nicht auszureichen. Und was ist mit der „engen Zusammenarbeit mit dem syrischen Militär und Geheimdienst“, die das russische Verteidigungsministerium so angepriesen hat? Offenbar bringen die Syrer nur ungenügende, falsche oder veraltete Informationen. Denn sonst hätten die Einsätze der russischen Jets wesentlich größere Wirkung.

Moskau entsendet Spezialeinheiten

Diese Lücke soll nun mit der Stationierung der russischen Spezialeinheiten geschlossen werden. Man will die Luftangriffe endlich effektiver machen und nicht weiter Millionen von Euro buchstäblich in der Luft verpuffen lassen. Unter den Elitetruppen soll auch die berüchtigte Zaslon-Einheit sein, die auf den Schutz von Diplomaten und Vertretungen im Ausland trainiert ist.

Russlands Elitesoldaten werden an der Front syrische Einheiten begleiten, kämpfen werden sie nicht. Die Russen sind „Spotter“, die feindliche Stellungen auskundschaften und die Koordinaten an die Kampfflugzeuge weitergeben. Damit steigt das Risiko, dass Russen getötet oder gefangen werden. Aber das Problem sieht man im Kreml wohl gelassen – Hauptsache, die Effektivität der Bombardierungen erhöht sich, die die Bodenoffensive der syrischen Armee so bitter nötig hat. Russland muss schnell reagieren. Sonst endet seine Intervention im Desaster, bevor sie noch richtig begonnen hat.

AUF EINEN BLICK

Die russischen Streitkräfte fliegen seit etwa drei Wochen mit Kampfflugzeugen und Hubschraubern Einsätze gegen diverse syrische Rebelleneinheiten. Die Führung in Moskau will so das mit ihr verbündete syrische Regime von Machthaber Bashar al-Assad unterstützen. Trotz der massiven russischen Hilfe kommt eine Offensive der syrischen Bodentruppen aber nicht vom Fleck. An einigen Stellen der Front, etwa bei Aleppo, sind mittlerweile sogar die Aufständischen zum Angriff übergegangen. Die Russen machen offenbar den schlechten Zustand der syrischen Armee für das Ausbleiben des Erfolges verantwortlich. Dazu kommt auch schlechte Aufklärung über die richtigen Bodenziele für Russlands Luftwaffe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2015)

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