Syrien-Gipfel: Überraschungserfolg in Wien

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19 Spitzendiplomaten einigten sich unter Führung Russlands und der USA auf Prinzipien für einen Friedensprozess, den die UNO vorantreiben soll. Auch Iran und Saudiarabien unterschrieben.

Wien/Washington. Sieben Stunden, viel länger als geplant, rangen die Außenminister der Supermächte und nahöstlichen Regionalmächte am Freitag im Wiener Hotel Imperial um einen Ausweg aus dem syrischen Bürgerkrieg. Sie stritten, hielten einander Waffenlieferungen vor. Doch am Ende einigten sie sich überraschend auf einen Grundkonsens. „Das ist der Beginn eines neuen diplomatischen Prozesses“, verkündete US-Außenminister John Kerry. Er hielt seine Pressekonferenz nicht, wie ursprünglich vorgesehen, alleine ab. Neben ihm nahmen auch der russische Chefdiplomat Sergej Lawrow und der UN-Sonderbeauftragte der UNO, Staffan de Mistura, Platz. Zeichen einer neuen internationalen Entschlossenheit, den Krieg in Syrien nach viereinhalb Jahren und mehr als einer Viertelmillion Toten endlich zu stoppen.

De Mistura bekommt dabei eine besondere, fast unlösbare Aufgabe: Er soll einen Friedensprozess zwischen der zersplitterten syrischen Opposition und der Regierung von Bashar al-Assad in Gang bringen und Wahlen organisieren. Das ist einer von neun Punkten, auf die sich die 19 teils verfeindeten Mitglieder der Syrien-Kontaktgruppe verständigten. Mit dieser gemeinsamen Erklärung hätte niemand so rasch gerechnet. Sie ist die eigentliche Sensation des Wiener Treffens.

Das Papier trägt die Unterschrift aller Teilnehmer, auch der Außenminister aus Saudiarabien und dem Iran, die überhaupt zum ersten Mal an einem Tisch saßen. Die Unterstützer und Gegner Assads bekannten sich unter anderem zur territorialen Integrität eines säkularen Syriens, forderten humanitäre Korridore in Syrien, einen Waffenstillstand. Und sie schworen, die Terrormilizen des Islamischen Staats zu vernichten.

Assad-Frage ausgeklammert

Die wichtigste Streitfrage klammerten sie aus dem Dokument aus: die zukünftige Rolle von Syriens Präsident Bashar al-Assad. In ihrer Sitzung debattierten sie jedoch heftig darüber. Wortführer war dabei dem Vernehmen nach der saudische Außenminister Abdel al-Jubair, der ebenso wie die Golfstaaten und die Türkei heftig auf die Absetzung des syrischen Diktators drängte. Russland und der Iran hielten dagegen. Die USA und die EU machten kein Hehl daraus, dass sie langfristig keine Zukunft für eine Friedenslösung mit Assad sehen. Doch ohne ihn, das wissen sie auch, können Verhandlungen gar nicht beginnen.
„Wir müssen in die Zukunft schauen, nicht in die Vergangenheit“, erklärte Kerry. Und auch der Außenminister Russlands, das den Konflikt mit seiner Militärintervention angeheizt hat, versuchte eine Brücke zu bauen. „Ich sage nicht, dass Assad gehen oder bleiben soll. Die syrische Bevölkerung soll in Wahlen über sein Schicksal entscheiden.“

Umstritten ist auch, welche Oppositionsgruppen als salonfähig eingestuft werden. Lawrow ließ durchblicken, dass er nicht nur den IS, den al-Qaida-Ableger al-Nusra, sondern auch andere islamistische Feinde Assads auf die Terrorliste setzen will. Der UN-Beauftragte de Mistura erklärte, er wolle die syrischen Konfliktparteien schon bald an den Verhandlungstisch rufen.

Innerhalb von 14 Tagen soll die Syrien-Kontaktgruppe wieder zusammentreffen. Zunächst hatte es geheißen, schon am Dienstag und Mittwoch werde die nächste Sitzung stattfinden, und zwar wieder in Wien. Kerry sollte nach einer Zentralasienreise gleich wieder nach Österreich zurückkehren. Doch nach dem Etappenerfolg im Hotel Imperial könnte es nun etwas länger dauern. Und auch Wien wackelt angeblich als Tagungsort.
US-Elitetruppen nach Syrien

In einer Doppelstrategie erhöhten die USA auch den militärischen Druck: Die US-Regierung kündigte am Freitag an, Elitetruppen nach Syrien entsenden zu wollen, um den Kampf gegen den IS zu verstärken. „Weniger als 50“ Spezialkräfte sollen laut Angaben aus Washington in den Norden des Bürgerkriegslandes geschickt werden, um Rebellen zu unterstützen und Angriffe gegen den IS zu koordinieren. Schon in den kommenden Tagen sollen die Soldaten vor Ort eintreffen. Auch in Erbil im Nordirak sollen Spezialkräfte demnach stationiert werden.

Bisher hatte sich die Regierung von US-Präsident Barack Obama stets geweigert, Soldaten in Syrien dauerhaft zu stationieren. Der plötzliche Schwenk dürfte direkt mit den Syrien-Gesprächen in Wien zusammenhängen. Ein größeres militärisches Engagement der USA in Syrien ist im Sinne Saudiarabiens. So hofft man in Washington offenbar, Riad am Verhandlungstisch zu halten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2015)

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