In dem sogenannten Fortschrittsbericht werden Rückschritte aufgelistet - bis
hin zur Unterminierung einer unabhängigen Justiz. Das "Zwischenzeugnis" hätte bis nach der Wahl zurückgehalten werden sollen.
In dem von der EU-Kommission bis nach der Wahl in der Türkei zurückgehaltenen Fortschrittsbericht werden laut einem Medienbericht schwere Vorwürfe gegen Ankara erhoben. Die Unabhängigkeit der Justiz und das Prinzip der Gewaltenteilung seien "wesentlich unterminiert" worden, zitiert die "Bild"-Zeitung am Samstag aus dem Zwischenzeugnis, das vermutlich nächste Woche veröffentlicht werden soll.
"Richter und Staatsanwälte sind starkem politischen Druck ausgesetzt gewesen", insgesamt habe sich die Situation des Rechtssystems "seit 2014 zurück entwickelt".
Auch was das Recht auf Meinungsfreiheit angehe, stelle die EU-Kommission schwere Defizite fest, schreibt die Zeitung weiter: "Die Anzahl von Verhaftungen, juristischen Verfolgungen, Fällen von Zensur und Kündigungen" habe sich dem Bericht zufolge erheblich erhöht. Gleichzeitig hätten die Behörden ihren "starken Druck auf die Medien beibehalten". Mehr als 20 Journalisten säßen in Gefängnissen.
"Sehr schmutziger Deal"
Der sogenannte Fortschrittsbericht, eine Art Zwischenzeugnis für die Beitrittsreife der Türkei, ist schon eine Weile fertig. Dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Bericht dennoch noch nicht veröffentlicht hat, sorgt seit Tagen für scharfe Kritik. Der Aufschub der Veröffentlichung erscheine vor dem Hintergrund der Parlamentswahlen vom Sonntag als "sehr schmutziger Deal", hatte Emma Sinclair-Webb von Human Rights Watch am Freitag der Nachrichtenagentur AFP gesagt. Der Vorwurf: Brüssel zögere mit der Veröffentlichung, um die islamisch-konservative Regierungspartei von Präsident Recep Tayyip Erdogan vor der Wahl nicht zu belasten.
Die EU bemüht sich derzeit intensiv, Ankara für einen gemeinsamen Aktionsplan zur Eindämmung der Flüchtlingskrise zu gewinnen. Im Gegenzug für mehr Zusammenarbeit bei der Grenzsicherung und die Rücknahme von Flüchtlingen aus EU-Ländern verlangt die Regierung aber neben Milliardenunterstützung auch, dass die stockenden Beitrittsgespräche mit Brüssel beschleunigt werden. Ein kritischer Fortschrittsbericht läuft dem zuwider.