Ungarn: „Wollen nicht Mittäter bei Zerstörung Europas werden“

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Lászlo Kövér, Parlamentspräsident und enger Weggefährte des Premiers, Viktor Orbán, fordert die ÖVP auf, „sich von den Linken zu befreien“. Sonst öffne sich rechts ein Raum für radikale Kräfte.

Budapest. Parlamentspräsident László Kövér ist einer der engsten und langjährigsten Weggefährten Viktor Orbáns. Ein Mann von altem Schrot und Korn. Sein mächtiger Schnauzer würde ebenso gut in frühere Jahrhunderte passen, wie die holzgetäfelte Pracht seines Büros im Budapester Parlament und wie manche Dinge, die er sagt. Zurzeit vergleicht er Ungarns hartes Vorpreschen in der Flüchtlingskrise mit dem Unabhängigkeitskrieg gegen Österreich: Es sei ein „Kampf, der unserem Freiheitskrieg 1848/49 gleicht“, sagt er. „Damals waren zahlreiche Polen, Serben, Kroaten und Deutsche und viele andere auf unserer Seite (gegen die Habsburger; Anm. d. Red.), genau wie jetzt in der Flüchtlingskrise.“

Kövér bezieht sich damit auf die neue Solidarität der Visegrad-Länder (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) gegen eine Zwangsverteilung von Flüchtlingen in Europa – die von Österreich unterstützt wird. Zudem haben die Visegrad-Staaten Polizeikräfte entsandt, um gemeinsam mit den Ungarn den von Österreich scharf verurteilten Grenzzaun zu sichern.

Dieser Zaun steht Kövér zufolge dafür, dass „die Ungarn bei der Zerstörung Europas nicht zu Mittätern werden wollen“. Das Land zeige damit außerdem, dass es „im Gegensatz zu anderen Staaten kein Migrantenreisebüro“ sein will.

Das ist wohl (auch) ein Seitenhieb auf Österreichs Politik, die Flüchtlinge herein- und nach Deutschland durchzulassen. Kövér glaubt aber, dass viele Wähler das nicht wollen, und macht sich deswegen vor allem Sorgen um die ÖVP. „Wenn Europas Mitte-rechts-Parteien sich nicht aus der Gefangenschaft der sie umarmenden Linken befreien können, dann öffnen sie rechts Räume für radikale systemkritische Kräfte“, sagt er.

„FPÖ nicht populistisch“

Das sei „in Wien gerade der ÖVP widerfahren“, als sie zugunsten der FPÖ stark verlor. Diese sei jedoch nicht unbedingt extrem zu nennen: „Wenn die FPÖ in Wien mehr als 30 Prozent bekommt und man sie extrem nennt, dann bedeutet das ja, dass man ein Drittel der Wähler extrem nennt. Oder dumm, weil sie nicht verstehen, wen sie wählen.“

Die Wähler aber wehren sich laut Kövér nur gegen die Missachtung ihrer Sorgen durch die Volksparteien. Man dürfe Parteien wie die FPÖ, die diese Sorgen thematisieren, deswegen nicht gleich populistisch nennen: „Allgemein werden die Politiker, die die Interessen ihrer Wähler vertreten, als Populisten abgestempelt. Dabei geht es in der Demokratie doch genau darum. Bei uns nennt man das Parlament immer noch Volksvertretung.“ Natürlich sei es auch die Aufgabe der politischen Elite, Werte zu formulieren und Ziele vorzugeben. „Aber wenn das in Widerspruch zum tatsächlichen Willen der Bürger gerät, dann erfüllen solche Politiker nicht mehr ihre Funktion.“

Politisch korrektes Regieren, das sei im Grunde, „die eigenen Ansichten der Mehrheit aufzuzwingen“. Das aber sei diktatorisch. Ein echter „Kövér-Knaller“. „Wir hatten das ja schon in der braunen und in der roten Diktatur. Heute ist es die Diktatur der politischen Korrektheit.“ Der einstige sowjetische Staats- und Parteichef „Breschnew hätte seine Freude daran, wenn er sehen könnte, wie heute die öffentliche Meinung geformt wird“, meint der Parlamentsvorsitzende. Es gebe nämlich derzeit eine „unsichtbare moralische Zensur, einen geistigen Terror in Europa. Wie damals sind die Ausübenden dieses geistigen Terrors Leute, die das Volk zu seinem Glück zwingen wollen, ob es ihm gefällt oder nicht.“

Kövér glaubt – oder hofft gar – dass die Flüchtlingskrise das Ende dieser Kultur der „politischen Korrektheit“ einläutet. „Die Menschen lehnen sich auf“, sagt er. „Sie können ja im Internet verfolgen, wie massiv die Leser in den Kommentarspalten der Zeitungen den Meinungen widersprechen. Sie protestieren auf den Straßen, auch in Deutschland. Nicht nur wegen der Flüchtlingspolitik, sondern auch wegen der undurchsichtigen Art und Weise, wie der geplante Freihandelsvertrag zwischen Europa und den USA ausgehandelt wird.“

In Osteuropa scheint solches Unbehagen doch sehr viel ausgeprägter als im alten, „korrekten“ Westeuropa. „Vielleicht sind wir wegen der durchlebten kommunistischen Zeiten sensibler für solche Dinge. „Jedenfalls spüren die Menschen, dass es so nicht weitergeht mit dem Verschweigen von Problemen, Ablenken, Ausweichen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2015)

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