Sein Selbstbewusstsein ist groß, die Bilanz bescheiden: Kroatiens sozialdemokratischer Premier Zoran Milanović muss am Sonntag um seine Wiederwahl bangen.
Angriff ist für einen bedrängten Platzhirschen immer die beste Verteidigung. „Unsere Regierung ist 1000 Mal besser als die ihrer Vorgänger, die Kroatien vergewaltigten und ausraubten!“, ruft der sozialdemokratische Premier Zoran Milanović seinen Anhängern auf dem Zagreber Trg Bana Jelasica zu. Sein Block „Kroatien wächst“ streite für einen „vaterländischen Frieden in den nächsten 100 Jahren“, verkündet der 49-Jährige: „Am meisten wird Kroatien von den Barbaren in den eigenen Reihen bedroht. Wir lassen nicht zu, dass sie an die Macht kommen. Entweder Tomislav Karamarko oder ich!“
Sein Selbstbewusstsein ist groß, die Erfolgsbilanz bescheiden: Nicht zuletzt wegen der miserablen Wirtschaftslage muss der Chef der Mitte-links-Koalition bei der Parlamentswahl am Sonntag um seine Wiederwahl bangen. Seit 2008 dümpelt Kroatien in der Rezession. Den EU-Beitritt von 2013 hat Zagreb nur schlecht genutzt: Auch wegen mangelhafter Vorbereitung vermag Kroatien nur einen Teil der bereitstehenden Fördermittel auch abzurufen.
Die Jugendarbeitslosigkeit ist mit fast 50 Prozent eine der höchsten in der EU. Sparbemühungen machten bisher die schwache Konjunktur zunichte: Die Staatsverschuldung droht bis 2017 über die 90-Prozent-Marke zu klettern.
Kopf an Kopf mit Karamarko
Verbissen verweist der Premier auf die zuletzt gestiegene Industrieproduktion und leicht rückläufige Arbeitslosenzahlen: „Wir haben uns aus dem Sumpf der Stagnation herausgezogen.“ Sein einzig echter Trumpf im Kopf-an-Kopf-Rennen mit Oppositions- und HDZ-Chef Karamarko scheint indes der Gegner. Tatsächlich scheinen sich viele der bei den Europa- und Präsidentschaftswahlen abgewanderten Protestwähler notgedrungen wieder hinter das Wahlbündnis des umstrittenen Premiers zu scharen. Der zeitweise auf über fünf Prozentpunkte gewachsene Vorsprung des von der konservativen HDZ geführten Rechtsbündnisses ist laut den jüngsten, allerdings unverlässlichen Umfragen fast gänzlich geschmolzen: Eine vom TV-Sender N1 veröffentlichte Prognose sah den Mitte-links-Block erstmals leicht vorn.
Mit jeweils etwas mehr als 30 Prozent der Stimmen werden beide Lager die anvisierte Parlamentsmehrheit aber ohnehin deutlich verfehlen. Erst im folgenden Koalitionspoker wird die Entscheidung über den eigentlichen Wahlsieger fallen. Die Rolle der vielen Zünglein an der Waage werden die Abgeordneten der Minderheiten, der Diaspora und der Regionalparteien mimen. Ein Unsicherheitsfaktor bleibt die offene Frage, ob und mit wie vielen Abgeordneten die neuen Protestparteien künftig im Parlament vertreten sein werden.
Die Zeitung „Jutarnji List“ glaubt, dass die HDZ gewinnen werde, doch Milanović das größere „Nachwahl-Potenzial“ habe. Völlig anderer Ansicht ist der Zagreber Analyst Davor Gjenaro, der zu bedenken gibt, dass die drei Mandate der Diaspora sicher der Opposition zufallen werden. Ohne die Abgeordneten der nationalistischen Regionalpartei HDSSB des Kriegsverbrechers Branimir Glavas könne Milanović keine Mehrheit bilden, so seine Prognose: Doch weder die Minderheiten noch die linksliberale Regionalpartei IDS wollten „mit Faschisten in der Regierung sitzen“.
Angesichts des erwartet knappen Wahlausgangs hält der Analyst Zarko Puhovski es aber auch nicht für ausgeschlossen, dass keinem Lager die Bildung einer Regierungsmehrheit gelingt: „Eine Wiederholung der Wahl wäre sicherlich das schlechteste Szenario.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2015)