UN-Menschenrechtsrat in der Glaubwürdigkeitsfalle

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GENEVA SWITZERLAND Queen Mathilde of Belgium pictured during the Annual Discussion which is tit(c) imago/Belga (imago stock&people)
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Das Gremium soll Menschenrechte weltweit schützen. Das Sagen haben aber vermehrt Staaten, die Rechte verletzen. Wird der Rat zur Farce?

Wien/Genf. Drei Stunden lang stand Österreichs Justizminister, Wolfgang Brandstetter, Anfang der Woche dem UN-Menschenrechtsrat Rede und Antwort. Vertreter der Mitgliedstaaten befragten die Delegation aus Wien zu Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei, Diskriminierung von Frauen und Minderheiten, sie sprachen Hassreden und Rassismus an, den Umgang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden. Dann gab es Empfehlungen, was Österreich verbessern kann.

Universelle Menschenrechtsprüfung, UPR, nennt sich dieser Prozess, dem sich jeder der 193 UN-Mitgliedsländer alle vier Jahre aussetzen muss. UN-Experten, NGOs und auch das zu prüfende Land selbst legen Lageberichte vor und stellen sich der Diskussion im Plenum. Weil alle drankommen, kann sich kein Staat ungerecht an den Pranger gestellt fühlen. Und weil die Umsetzung der Empfehlungen freiwillig ist, hat auch keiner etwas zu fürchten.

Das hilft vor allem Ländern, die Menschenrechte ohnehin ernst nehmen und eine gute Bilanz vorweisen können, wie die meisten westlichen Demokratien. Das Problem: Es hängt vom Willen der Staaten ab, die Empfehlungen umzusetzen und ihre Menschenrechtsbilanz zu verbessern. „Und das ist eine kleine Minderheit“, sagt Hillel Neuer von der NGO UN-Watch in Genf, die dem Rat auf die Finger schaut, der „Presse“.

Die meisten Länder, sagt Neuer, nutzten ihren Auftritt vor dem Rat, um sich von ihren Verbündeten bestätigen zu lassen. „Das hat nichts mit einer ehrlichen Überprüfung zu tun.“ Beispiel: Saudiarabien pries China für seinen Umgang mit Minderheiten, ungeachtet Pekings Vorgehen gegen die Tibeter, Uiguren und andere Volksgruppen. Im Gegenzug lobte der chinesische Vertreter das restriktive Riad ausgerechnet für seine Religionsfreiheit. „Es gibt keinen Beweis, dass jene Länder, die Menschenrechte missachten, ihre Politik aufgrund des Überprüfungsprozesses in irgendeiner relevanten Weise geändert hätten.“

Als der Menschenrechtsrat 2006 geschaffen wurde, sollte das einen Neuanfang symbolisieren. Als Teil einer Reform der Vereinten Nationen löste der Rat die UNO-Menschenrechtskommission ab, die sich diskreditiert hatte, weil sie politisch motiviert vorging und Menschenrechte verletzende Staaten sich gegenseitig schützten. Das sollte mit dem neuen Rat nicht passieren. Die Universelle Menschenrechtsprüfung für alle Länder wurde eingeführt, es gab weniger Mitglieder und einige institutionelle Änderungen.

Kritik wegen der Mitgliedstaaten

Kritische Resolutionen hat der Rat etwa zur Diktatur in Nordkorea verabschiedet, die allermeisten Verurteilungen betreffen jedoch Israel. Experten einer Untersuchungskommission dokumentieren die Verbrechen in Syrien, zum Höhepunkt der Krise in Libyen stimmten die Mitglieder des Gremiums einstimmig für den Ausschluss von Tripolis. Dass der Menschenrechtsrat sich schon früh zum Krieg in Syrien äußerte, während der Sicherheitsrat blockiert war, liegt auch daran, dass es kein Vetorecht gibt – und dass die sunnitisch-arabischen Staaten sich gegen das Assad-Regime stellten.

Doch schon jetzt steht auch der Rat immer wieder in der Kritik – vor allem wegen seiner Mitgliedstaaten. Unter den 47 Ländern, die jeweils für drei Jahre gewählt werden, finden sich beispielsweise Saudiarabien, China, Russland, Kuba, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Venezuela und Kuba – alles Staaten mit einer höchst zweifelhaften Menschenrechtsbilanz. Um die eigene Wahl zu sichern, unterstützte sogar Großbritannien die Bewerbung Riads. Gerade hineingewählt wurde auch Burundi, das derzeit brutal die Proteste der Opposition unterdrückt.

Saudiarabien in Schlüsselposition

Saudiarabien besetzt mit dem Vorsitz einer Kommission, die wichtige Experten für den Rat auswählt, noch dazu seit Kurzem eine Schlüsselposition. Tage vor dieser Ernennung war bekannt geworden, dass der 21-jährige Ali Mohammed al-Nimr, Neffe eines ebenfalls zum Tode verurteilten schiitischen Kritikers in dem Golfstaat, geköpft und gekreuzigt werden soll, weil er als Teenager gegen das Königshaus protestiert habe. Vor wenigen Tagen schlug Amnesty International Alarm, weil Riad mit schon über 150 Hinrichtungen in diesem Jahr so viele Menschen in den Tod geschickt hat wie zuletzt 1995. Dass Saudiarabien angedacht hatte, sich sogar für den Vorsitz des Menschenrechtsrates zu bewerben, sehen Menschenrechtler als Skandal.

UN-Experte Neuer stellt dem Rat deshalb ein vernichtendes Zeugnis aus. Er habe seine Glaubwürdigkeit inzwischen verloren. „Mit den Mitgliedern fängt alles an. Wenn man eine Suppe kocht und verfaulte Zutaten nimmt, kann man nichts Frisches erwarten.“ Und mit den neuen Mitgliedern, die im Jänner dazukommen, sei der Rat schlimmer besetzt als je zuvor. Nur noch 18 Länder zählten dann noch zu den freien Demokratien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2015)

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