Selbst die traditionell liberalen Nordeuropäer zeigen sich angesichts der Rekordzahl an Flüchtlingen überfordert.
Stockholm. Gemessen an der Einwohnerzahl hat Schweden europaweit bisher mit großem Abstand am meisten Flüchtlinge aufgenommen. Doch inzwischen regt sich vermehrt der Unmut über den Zustrom, wie in Deutschland gingen geplante Notunterkünfte in Flammen auf, und es gibt bereits einen Mangel an Quartieren. An Brüssel richtete die Regierung in Stockholm die Anfrage um eine Umverteilung auf andere EU-Staaten, wie dies zuvor Italien und Griechenland getan hatten. Auch bei der Verschärfung seiner Asylpolitik folgt das traditionell liberale Land zunehmend anderen EU-Mitgliedern.
Seit Donnerstag hat Schweden wieder Grenzkontrollen eingeführt – für eine Dauer von zehn Tagen, wie es zunächst hieß. Die Kontrollen sollen stichprobenartig vorgenommen werden. Betroffen sind vor allem Zug- und Autoverbindungen über die Öresundbrücke, die Dänemark und Schweden verbindet. Auch die Fährverbindungen von Deutschland und Dänemark nach Südschweden, etwa nach Trelleborg und Helsingborg, sind im Visier der Beamten. Offiziell sollen auch „Papierlose“ weiterhin in Schweden Asyl beantragen dürfen, betont Stockholm. Aufgegriffene Flüchtlinge werden nicht abgeschoben, sondern vorerst in Asylwerberzentren untergebracht. „Wir müssen wissen, wer zu uns kommt“, sagte Stefan Löfven, der sozialdemokratische Ministerpräsident.
„Geordnete Regeln an den Grenzen zu haben bedeutet nicht, die Grenzen zu schließen“, sagte Gustav Fridolin, Chef der mitregierenden und betont einwanderungsfreundlichen Grünen. Innenminister Anders Ygeman kündigte jedoch an, dass eine Weiterreise durch Schweden nach Finnland und Norwegen nicht mehr möglich sei. Entweder, die Flüchtlinge beantragten an Schwedens Grenzen Asyl, oder sie müssten zurück nach Dänemark oder Deutschland, sagte er.
Vermutlich werden die Kontrollen länger gelten als zehn Tage. Die Polizei sei auf sechs Monate vorbereitet, ließ sie verlauten. „Wenn sie irgendeinen Effekt haben sollen, müssen die Kontrollen längere Zeit in Kraft bleiben“, erklärte Anders Danielsson, der Chef der Migrationsbehörde. Die Kontrollen dienten auch dazu, Flüchtlinge ohne Asylgrund schneller abzuschieben und zu verhindern, dass einige wie bisher einfach in die Illegalität verschwinden, so Danielsson. Dass es letztlich darum geht, den Flüchtlingsstrom nach Schweden zu verlangsamen und zu reduzieren, wollten weder Innenministerium noch Migrationsbehörde direkt einräumen. Der Tenor, den Schwedens Regierung zuletzt anklingen ließ, lautete ungefähr so: Flüchtlinge, bleibt lieber in Deutschland.
Asylwerber kauerten teils auf Matratzen in den Korridoren von Migrationsämtern. Trotz des anbrechenden Winters ließen die Behörden Zeltplätze errichten.
Über Dänemark sind seit September knapp 40.000 Flüchtlinge weiter nach Schweden gereist. Bis zum Jahresende rechnet Schweden mit 190.000 Flüchtlingen. Noch im September sprach sich eine Mehrheit der Schweden dafür aus, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Mittlerweile hat indes ein Meinungsumschwung eingesetzt. Eine deutliche Mehrheit will nun erstmals weniger Flüchtlinge aufnehmen. Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten haben in den Umfragen massiv zugelegt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2015)