Reiste Attentäter als Flüchtling getarnt über Österreich ein?

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Bei der Leiche eines Terroristen fand man einen syrischen Pass. Dessen Inhaber haben Behörden in Griechenland, Serbien und Kroatien registriert.

Belgrad/Wien. Mindestens einer der Pariser Attentäter reiste vermutlich inmitten des Flüchtlingsstroms über die Balkanroute. Darauf weist ein syrischer Reisepass hin, den die Ermittler nahe des Stade de France neben der Leiche eines Terroristen fanden. Ungewiss war am Sonntag zunächst noch, ob der Mann mit seiner echten Identität unterwegs oder der Pass gefälscht war.

Im Ausweis lautet der Name Ahmed A. Der Weg des 25-Jährigen lässt sich nachzeichnen. Die griechischen Behörden registrierten ihn am 3. Oktober auf der Insel Leros als Flüchtling. Das bestätigte inzwischen Griechenlands Vize-Innenminister Nikos Toscas. Am 5. Oktober reiste er über Kalymnos mit einer Fähre nach Piräus weiter. Am 7. Oktober suchte er in Preševo an der Grenze zu Mazedonien formal um Asyl in Serbien an, wie ein Sprecher des Belgrader Innenministeriums mitteilte. Einen Tag später erfasste ihn die kroatische Polizei im Durchgangslager Opatovac als Flüchtling aus Syrien. Dann verliert sich seine Spur. Aller Wahrscheinlichkeit setzte er über Ungarn, Österreich und Deutschland seinen Weg nach Frankreich fort. Denn das war Anfang Oktober noch die übliche Balkanroute. Die französischen Behörden haben deshalb schon in Wien angeklopft. „Wir sind in Kontakt“, erklärte ein Sprecher des Innenministeriums gegenüber der „Presse“. Doch Details konnte oder wollte er nicht preisgeben. „Es gibt keine gesicherten Informationen, dass irgendjemand mit diesem Namen durch Österreich reiste“, sagte er lediglich.

Tatsächlich kann man das aber wohl nicht ausschließen: In der Hochphase des Flüchtlingsstroms – genau zu der Zeit, in der der mutmaßliche Attentäter durch Österreich gereist sein könnte – gab es keine lückenlose Registrierung. Hat er den Weg genommen, den zu dieser Zeit die meisten Flüchtlinge nahmen, könnte er über Nickelsdorf oder Heiligenkreuz nach Österreich gelangt sein, wo die österreichischen Behörden bestenfalls stichprobenartige Kontrollen durchführten.

Laut der serbischen Zeitung „Blic“ soll angeblich bereits feststehen, dass der auf dem Reisepass abgebildete Ahmed A. identisch mit dem in Paris getöteten Attentäter sei: Die französischen Sicherheitsdienste hätten ihre serbischen Kollegen um Amtshilfe gebeten, da sie wissen würden, dass „unsere Dienste über die kompletteste Dokumentation auf der Balkanroute verfügen“.

Ahmed A. reiste vermutlich unbewaffnet. Denn in Preševo musste er durch einen Metalldetektor. Der kroatische Innenminister Ranko Ostojić musste bereits auf Vorhaltungen reagieren, wie es möglich gewesen sei, dass ein Attentäter problemlos über Kroatien nach Westen gelangen konnte. „Wenn der Mann auf der Fahndungsliste von Interpol gestanden wäre, hätten ihn mit Sicherheit bereits die griechischen Behörden gestoppt“, sagte er.

Zweiter Attentäter als Reisebegleiter?

Vermutlich war Ahmed A. nicht allein unterwegs. Nach Informationen von „Proto Thema“ war entlang der Flüchtlingsroute über den Balkan ein zweiter Attentäter mit einem syrischen Pass an seiner Seite: Mohammed A. Auch bei ihm ist noch unklar, ob dieses Dokument gefälscht war. Ob es nun einer oder gar zwei der Attentäter waren, die über die Balkanroute nach Frankreich reisten: Die Anschläge von Paris haben die Sicherheitsdienste der Region in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Zwar zählen vor allem Bosnien und Herzegowina, aber auch Kosovo und Albanien zu den Staaten, in denen der Islamische Staat freiwillige Kämpfer für den Syrien-Krieg rekrutiert. Doch mit der geschätzten Zahl von insgesamt 500 Kämpfern aus der gesamten Region liegt deren absolute Zahl auf dem Balkan weit unter denen der westeuropäischen EU-Staaten. Anlass zur Panik sehen heimische Politiker und Medien zwar nicht, mahnen aber angesichts der nur begrenzt zu überwachenden Flüchtlingsbewegungen über die Balkanroute zu erhöhter Aufmerksamkeit.

Florierender Waffenhandel

Zwar stammen nach Schätzung der Geheimdienste nicht einmal zwei Dutzend der IS-Kämpfer aus Serbien. Doch auch wenn die ex-jugoslawischen Staaten weder zu den wichtigsten Rekrutierungsstaaten noch vorrangigen Zielen von IS-Anschlägen zählen dürften, glauben Analysten, dass die Region wegen des leicht verfügbaren Waffenarsenals für die IS eine Rolle spielen könnte: Seit den Jugoslawien-Kriegen der 1990er-Jahre blüht der Handel mit nicht registrierten Waffen.

Einen in Bayern verhafteten Montenegriner, der bei einer Verkehrskontrolle am 10. November mit einem VW-Golf voller Waffen und Munition gestoppt worden war, wollen die Polizeibehörden seines Landes allerdings nicht mit den Anschlägen in Verbindung bringen. Der 51-Jährige sei christlich-orthodox und polizeilich noch nicht aufgefallen, so eine Presseerklärung von Montenegros Innenministerium: Vermutlich handle es sich um einen „individuellen Fall“, der nichts mit den Anschlägen von Paris zu tun habe.

AUF EINEN BLICK

Der Weg aus Syrien. Ahmed A. lautet der Name in dem syrischen Pass, den die Polizei am Stade de France fand. Der Weg des 25-Jährigen ist weitgehend dokumentiert: Erstmals wurde der mutmaßliche Attentäter von den griechischen Behörden am 3. Oktober auf der Insel Leros registriert. Am 5. Oktober reiste er mit der Fähre nach Piräus weiter. Am 7. Oktober suchte er in Preševo um Asyl in Serbien an, tags darauf erfasste ihn die kroatische Polizei im Lager Opatovac. Dann verliert sich seine Spur. Via Ungarn, Österreich und Deutschland – die übliche Route – gelangte er offenbar nach Paris.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2015)

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