Die Zweigstellen des „Kalifats“ in der islamischen Welt

CHAD FRANCE ARMY MALI OPERATION
CHAD FRANCE ARMY MALI OPERATION(c) EPA (Nicolas-Nelson Richard / ECPAD)
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Von Westafrika bis Südostasien wehen Banner des sogenannten Islamischen Staats. Über Stammgebiet in Syrien und im Irak hinaus schlossen sich mehrere „Provinzen“ dem IS an.

Wien. Ankara, Sharm el-Sheikh, Beirut, Paris: Vier große Anschläge innerhalb eines Monats, die über das proklamierte Herrschaftsgebiet des sogenannten Islamischen Staats (IS) in Syrien und im Irak hinausweisen, markieren den globalen Anspruch der Jihadisten. In nur eineinhalb Jahren hat der IS seinem Vorbild und Vorläufer, dem Terrornetzwerk al-Qaida, den Rang als gefährlichste Terrororganisation der Welt abgelaufen.

Abgesehen von ihrem Stammland, dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, haben die Komplizen des Terrorpaten Osama bin Laden nur noch im Jemen eine funktionstüchtige Terrorzelle. Viele der übrigen Filialen sind inzwischen zum IS übergelaufen: Die Schüler haben ihre Lehrmeister längst übertroffen. Der IS wirkt weltweit wie ein Magnet, mit jedem Attentat erhöht sich seine Attraktivität für lokale Terrorgruppen, Imitatoren und Irrläufer.

Von westafrikanischen Busch bis zum südostasiatischen Dschungel, von den Rändern der islamischen Welt in Nigeria bis zu den Philippinen wehen mittlerweile bereits die schwarzen IS-Banner. Das Logo der IS-Milizen ist zum Emblem für Angst und Schrecken geworden, das Kürzel IS zur Marke. Der Islamische Staat ist expandiert, gegliedert in mehrere Provinzen vor allem in der arabischen Welt.

Die Terrormitstreiter in der „Provinz Sinai“ sind am umtriebigsten. In Ägypten hat die Gruppe Ansar Beit al-Makdis erst vor einem Jahr dem IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi Treue und Gehorsam geschworen – und seither ihre Angriffe auf Polizeistationen und Militäreinrichtungen auf der Sinai-Halbinsel mit oft Dutzenden Toten intensiviert. Die massivste Wirkung erzielte sie am 31. Oktober mit dem Anschlag auf die russische Chartermaschine, die über der Sinai-Wüste abstürzte. Den IS-Terroristen war es offenbar gelungen, eine Bombe an Bord zu schmuggeln.

Gemetzel am Strand

Zu Beginn des Jahres hatte die „Provinz Berka“ in Libyen zugeschlagen. Ihr Video von der Hinrichtung von 21 ägyptischen Kopten, dem bestialischen Gemetzel an einem Strand, schreckte die Nachbarn dermaßen auf, dass Ägypten und arabische Alliierte prompt Stellungen der IS-Verbündeten bombardierten. Im Osten des Landes haben die Extremisten in der Exklave ein Sckreckensregime etabliert, in dem sie die Scharia exekutieren. Die IS-Milizen sind in die Bürgerkriegswirren in Libyen involviert, die sich durch das Machtvakuum infolge des Sturzes Gaddafis über den Küstenstreifen ausgebreitet haben. In Algerien hat sich die Jihadisten-Gruppe „Soldaten des Kalifats“ dem IS angeschlossen.

Zuletzt gingen indessen Erfolgsmeldungen vom Kampf gegen den IS in Nordafrika um die Welt. Erst in der Vorwoche wollen die USA den lokalen libyschen IS-Chef Abu Nibal ausgeschaltet haben, und in Tunesien vereitelte die Polizei mit der Verhaftung einer Gruppe von 17 Islamisten eine neue, konzertierte Anschlagsserie wie im Juni auf eine Hotelanlage in Sousse. Zugleich detonierte damals in einer Moschee in Kuwait eine Bombe.

Am Horn von Afrika, in Somalia, ist die al-Shabaab gespalten. Ein Teil hält weiterhin der al-Qaida die Treue, der andere hat das IS-Etikett übernommen. Am überraschendsten war indes die Gefolgschaft der Boko Haram in Nigeria, 4000 Kilometer von Mesopotamien entfernt. „Wir verkünden unsere Treue zum Kalifen, wir werden ihm gehorchen in guten und schlechten Zeiten“, erklärte Abubakar Shekau, der erratische Führer der Terrorbrigaden. Er verspricht sich von dem Schwur finanzielle Unterstützung, Waffenlieferungen und eine Aufwertung.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2015)

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