Militärische Hilfe: Warum Frankreich die EU um Beistand bittet

FRANCE USA DIPLOMACY PARIS ATTACKS
FRANCE USA DIPLOMACY PARIS ATTACKS(c) APA/EPA/US DEPARTMENT OF STATE
  • Drucken

Paris aktiviert zum ersten Mal in der Geschichte der EU die Beistandsklausel der Union. Es geht vor allem um Entlastung bei den Friedensmissionen in Afrika. Auch Österreich will sich beteiligen.

Brüssel/Wien. Man kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass bis Dienstag nur eine Handvoll Europarechtsfetischisten vom Artikel 42 Absatz 7 des Vertrags über die Europäische Union gehört hat. Dieser Passus, der erst im Jahr 2009 im Rahmen des Vertrags von Lissabon in den EU-Kanon aufgenommen wurde, wurde gestern zum ersten Mal in der Geschichte der EU aktiviert – und zwar von Frankreich. Der französische Verteidigungsminister, Jean-Yves Le Drian, ersuchte seine Amtskollegen beim planmäßigen Treffen in Brüssel um militärischen Beistand im Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Die Mitgliedstaaten der Union sind somit verpflichtet, Frankreich „alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung“ zukommen zu lassen, wie es im Vertragstext heißt – wobei der „besondere Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten“ (also unter anderem die österreichische Neutralität) dabei berücksichtigt wird.

Erwartet Paris nun von seinen europäischen Partnern die Beteiligung an einem Kampfeinsatz in Syrien? Gegen diese These sprechen mindestens zwei Faktoren: erstens der rechtliche Rahmen und zweitens die Realpolitik. Wäre Frankreich in der Tat an einem gemeinsamen Waffengang interessiert, hätte es sich eher auf die im Artikel 5 des Nato-Vertrags verankerte Beistandspflicht berufen – denn auch der EU-Vertrag hält fest, dass die Nato „für die ihr angehörenden Staaten (also auch Frankreich, Anm.)weiterhin das Fundament ihrer kollektiven Verteidigung ist“. Charles Lichfield vom britischen Thinktank Eurasia Group deutet die Wahl der EU-Beistandsklausel als symbolische Geste: Die Berufung auf die europäische Solidarität komme sowohl bei der eigenen Bevölkerung als auch bei den EU-Partnern gut an, sagte Lichfield zur „Presse“.

„Frankreich kann nicht alles machen“

Doch auf reine Freundschaftsbekundungen ohne Substanz hat es die französische Regierung auch nicht abgesehen – es geht ihr auch um Entlastungen an diversen Nebenfronten. Insgesamt rund 8000 französische Soldaten sind derzeit mit der Friedenssicherung beschäftigt: rund 1000 versehen ihren Dienst im Libanon, etwa 300 im Kosovo, noch größere Truppenkontingente sind in Mali und der Zentralafrikanischen Republik im Einsatz. „Frankreich kann nicht alles machen“, sagte gestern Verteidigungsminister Le Drian mit Verweis auf die laufenden Militäreinsätze. Inwieweit sich die einhellige Hilfsbereitschaft der europäischen Partner, von der die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini gestern sprach, in Truppenkontingente übersetzen lässt, bleibt allerdings noch abzuwarten. In den Kampf ziehen will kaum ein Mitgliedstaat: So schloss Spanien gestern eine Beteiligung an Luftangriffen in Syrien dezidiert aus, während die Regierung in Berlin auf den deutschen Einsatz bei der Ausbildung und Aufrüstung der kurdischen IS-Widersacher im Irak verwies. Sie habe von Le Drian „keine konkrete Bitte oder Forderung“ erhalten, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen gestern – und brachte die Möglichkeit eines Einsatzes der Bundeswehr in Mali ins Spiel. Keine Hilfe wird es jedenfalls vom neutralen Finnland geben: Militärische Unterstützung sei ausgeschlossen, ließ der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Parlament in Helsinki, Ilkka Kanerva, gestern wissen, über polizeiliche Zusammenarbeit oder zivile Hilfe könne man reden.

Österreich will helfen

Und Österreich? „Wir werden im Rahmen unserer Möglichkeiten bereitstehen, um einen Beitrag zu leisten“, sagte Verteidigungsminister Gerald Klug. Auch, obwohl sich Wien mit dem Verweis auf die Neutralität von dieser Verantwortung befreien könnte. Dennoch habe man bereits signalisiert, Frankreich unterstützen zu wollen, heißt es aus dem Verteidigungsressort. Wie diese Hilfe aussehen soll, wisse man allerdings noch nicht. „Frankreich wird bilateral mit allen Ländern Gespräche führen und klären, welchen Bedarf es hat.“ Dadurch, dass die EU-Solidaritätsklausel zum ersten Mal angewandt wird, sei vieles offen: „Theoretisch ist es möglich, dass Soldaten aus anderen Ländern nach Frankreich geschickt werden.“ Es könnte aber auch sein, dass Nachrichtendienste stärker zusammenarbeiten oder Syrien verstärkt angegriffen wird.

Auf europäischer Ebene sind jedenfalls schärfere Anti-Terror-Maßnahmen geplant. Am heutigen Mittwoch will die EU-Kommission Einschränkungen beim Handel mit Feuerwaffen vorlegen. Schneller als geplant, nämlich bereits am 1. Jänner 2016, soll die geplante Anti-Terror-Zelle bei Europol ihren Dienst aufnehmen. Am kommenden Freitag beraten die EU-Innenminister über schärfere Kontrollen an den Außengrenzen der Union.

Terror in Paris - Diskutieren Sie mit im Themenforum!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.