„Die Bedrohungslage in Deutschland ist wirklich ernst“

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Sicherheit. Rund 7900 Salafisten zählt der Verfassungsschutz bundesweit. Mehr als 400 werden als islamistische Gefährder eingestuft.

Hannover/Berlin. Polizisten, die in kugelsicheren Westen und mit Maschinengewehren an neuralgischen Punkten patrouillieren. Das ist die neue Realität in Deutschland. Seit den Anschlägen von Paris am vergangenen Freitag ist den Deutschen klar: Ihr Land kann zum Ziel von Terrorattacken werden.

Die Bundesrepublik hat Grund zu Sorge: Das Land steht, wie andere westliche Staaten auch, im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus. Innenminister Thomas de Maizière betonte in den vergangenen Tagen mehrfach, dass der Gefährdungsgrad im Land hoch sei. „Die Bedrohungslage in Deutschland und Europa ist ernst, wirklich ernst.“ Der Chef des Bundeskriminalamtes (BKA) sagte, dass Deutschland ein „erklärtes Angriffsziel“ für islamistische Terroristen sei. Konkrete Hinweise auf einen weiteren Anschlag gibt es aber nicht.

Bomben beim Ländermatch?

Am Dienstag wurde das Fußballländerspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden in Hannover aus Angst vor einem Attentat kurzfristig abgesagt. Die „Bild“-Zeitung berichtete gestern unter Berufung auf den Verfassungsschutz, es seien Erkenntnisse vorgelegen, wonach in Hannover ein Angriff mit mehreren Bomben geplant gewesen sei: Eine Gruppe von Attentätern wollte mehrere Sprengsätze im Stadion zünden. Es lagen Warnungen vor, dass die Sprengsätze in einem Rettungswagen ins Stadion geschmuggelt werden sollten. Der im Stadion anwesende Anführer der Terroristen habe die Explosionen filmen wollen. Außerdem sollte um Mitternacht am Bahnhof eine Bombe gezündet werden.

Gestern, Mittwoch, wurde bekannt, dass acht mutmaßliche Mitglieder des Terrornetzwerks IS offenbar auf dem Weg nach Deutschland waren. Sie wurden in der Türkei festgenommen.

Der deutsche Verfassungsschutz zählt bundesweit rund 7900 Salafisten. Noch im Vorjahr bezifferte man den Personenkreis mit 5500. Der Zulauf zu der Szene ist also merklich gestiegen. Rund 750 Jihadisten haben sich von Deutschland aus auf den Weg nach Syrien oder den Irak gemacht. Es sind nicht mehr nur Männer, die sich radikalisieren. Etwa ein Fünftel der Ausgereisten sind Frauen, wie BKA-Chef Holger Münch sagt. Etwa ein Drittel der ausgereisten Islamisten kehrte bereits wieder nach Deutschland zurück. Die meisten davon sollen allerdings nicht an Kampfhandlungen im Ausland beteiligt gewesen sein. Die, die ein terroristisches Ausbildungslager absolviert oder aktiv an Kampfhandlungen teilgenommen haben, stellen für Deutschland aber ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Das war bereits im Juni in einem Bericht des Verfassungsschutzes zu lesen. Derzeit werden rund 420 Personen als islamistische Gefährder eingestuft. 60 Islamisten sollen versucht haben, Flüchtlinge zu radikalisieren. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gelten als potenziell anfällig.

Falls es zu einem Terroranschlag auf deutschem Boden kommen sollte, schließt Finanzminister Wolfgang Schäuble den Einsatz der Bundeswehr im Inland nicht aus: „Wenn wir eine Situation wie in Paris, möglicherweise mit Anschlägen an drei bis vier Orten haben, wird man darüber nachdenken müssen, ob unsere polizeilichen Fähigkeiten ausreichen.“ Die Bundeswehr ist für Auslandseinsätze zuständig. 2012 gab es eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, wonach ein Inlandseinsatz in Ausnahmefällen möglich ist.(ag./nst)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2015)

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