Houellebecq: "Frankreich lässt sich nicht unterkriegen"

Michel Houellebecq
Michel Houellebecq(c) Reuters (Benoit Tessier)
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Der französische Schriftsteller kritisiert jene, die Grenzen "altmodisch" finden. Politiker hätten es verabsäumt, ihre Kernaufgabe zu erfüllen: nämlich, die Bürger zu beschützen.

„In der Zeit nach den Anschlägen im Jänner, habe ich zwei Tage wie gebannt damit verbracht, die Nachrichtenkanäle zu verfolgen", schreibt der französische Schriftsteller Michel Houellebecq, dessen Roman „Unterwerfung", in dem ein Muslim französischer Präsident wird, genau am Tag des islamistischen Anschlags auf die Satirezeitung „Charlie Hebdo" auf den Markt gekommen ist. Nun, „habe ich es kaum geschafft, den Fernseher einzuschalten", meint er in einem Artikel für die „New York Times". Er hab sich stattdessen damit zufrieden gegeben, mit jenen in Kontakt zu treten, die von der Terrorserie mit 129 Toten, direkt betroffen waren.

In seinem Text mit dem Titel „Nach den Attentaten von Paris, welche Demokratie für Frankreich?", der sowohl in einer französischen als auch in einer englischen Version vorliegt, erinnert der Autor an das Jahr 1986. Damals hatte es in Paris eine Serie von Bombenanschläge gegeben. „Es waren vier oder fünf Attentate, aufgeteilt auf einige Tage, oder vielleicht eine Woche. Ich weiß es nicht mehr genau", so Houellebecq. Woran er sich aber genau erinnern könne sei die Stimmung von damals. „Diese Stille in den U-Bahn-Waggons war absolut, die Menschen tauschten Blicke, die schwer waren vom Argwohn."

„Keine Kraft ist stärker als die Gewohnheit"

Bald aber, schon nach der ersten Woche, hätte sich die Atmosphäre wieder normalisiert, fährt Houellebecq fort. „Man gewöhnt sich an Anschläge", meint er. Frankreich lasse sich nicht unterkriegen. Die Franzosen lassen sich nicht unterkriegen, konstatiert der Schriftsteller. „Keine menschliche Kraft, nicht einmal die Furcht, ist stärker als die Gewohnheit", schreibt Houellebecq, um dann einen kurzen Augenblick lang ins Englische zu wechseln: „Keep calm and carry on. Und ja, das ist genau das, was wir tun werden."

Nun kommt der Schriftsteller zur Frage der Schuld. Diese liege in einer leichtsinnigen Vergesslichkeit. „Die missliche Situation, in der wir uns befinden" sei den Verantwortungsträgern geschuldet, auch den politischen. Denn: „Wer genau hat uns über Jahre hinweg eingetrichtert, dass die Grenzen eine altmodische Absurdität sind, ein Zeichen eines ranzigen und ekelerregenden Nationalismus?" Sein Fazit: „Man sieht, dass die Verantwortung weit gestreut ist."

Kluft zwischen Bürgern und ihren Vertretern

Über Jahrzehnte hinweg - „waren es zehn, zwanzig oder dreißig Jahre?" - hätten die Regierungen es verabsäumt, ihre Kernaufgabe zu erfüllen: die Bevölkerung zu beschützen. Houellebecq sagt, er könne viele Beispiele für die Kluft zwischen Bürgern und ihren Vertretern aufzählen, resümiert der Autor. Je länger er darüber nachdenke, desto deutlicher glaube er zu erkennen, dass die einzige Lösung sei, sich behutsam in Richtung der einzig wahren Demokratie aufzumachen: „Der direkten Demokratie."

>>> Text von Michel Houellebecq in der „New York Times“

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(hell)

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