Syrien: Ein Abschuss mit Folgen

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epaselect TURKEY SYRIA RUSSIA WARPLANE DOWNEDAPA/EPA/HABERTURK TV CHANNEL
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Syrische Soldaten haben den zweiten Piloten des abgeschossenen russischen Kampfjets gerettet. Moskau droht mit Konsequenzen, Ankara schaltete Nato ein.

Istanbul. Ein Kommando der syrischen Armee hat den zweiten Piloten des abgeschossenen russischen Jets in Sicherheit gebracht. Er sei bei einer Aktion "hinter den Linien" der Rebellen gerettet worden, meldete die libanesische Nachrichtenseite Al-Mayadeen, die gute Kontakte zu Syriens Regierung hat. Der russische Botschafter in Frankreich, Alexander Orlow bestätigte dies: "Den zweiten Piloten hat die syrische Armee herausgeholt."

Der andere Pilot des abgeschossenen Flugzeugs war nach Angaben aus Moskau ums Leben gekommen. Syrische Rebellen verbreiteten dazu im Internet ein Video, das seinen Leichnam zeigen soll. Die Türkei hatte am Dienstag im Grenzgebiet ein russisches Kampfflugzeug abgeschossen, weil es den türkischen Luftraum verletzt haben soll.

Neue Luftangriffe

Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete zudem neue russische Luftangriffe auf Rebellen nahe der Grenze zur Türkei im Nordwesten Syriens. Es gebe seit heftige Kämpfe zwischen Anhängern und Gegnern des Regimes, hieß es weiter. In dem Gebiet leben Angehörige der Minderheit der Turkmenen, mit denen sich die Türkei sehr verbunden fühlt.

Der Syrien-Krieg brachte zwei ausländische Interventionsmächte an den Rand einer direkten Konfrontation: Ein türkisches Kampfflugzeug des Typs F-16 hatte am Dienstag an der syrischen Grenze einen russischen Militärjet abgeschossen. Die Regierung in Ankara wandte sich wegen des Zwischenfalls an die Nato und die UNO. Russland erklärte, es habe keine Verletzung des türkischen Luftraums gegeben, und sprach von einer ernsten Krise in den Beziehungen zur Türkei.

"Geplante Provokation"

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hält den Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei für womöglich von langer Hand vorbereitet. "Wir haben ernste Zweifel, ob es sich um einen spontanen Akt handelt, es ist mehr wie eine geplante Provokation", sagte Lawrow bei einer Pressekonferenz am Mittwoch in Moskau.

Lawrow telefonierte zuvor mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlut Cavusoglu. Der russische Außenminister sagte, man werde seine Beziehungen zur Türkei künftig ernstlich überdenken. Es gebe keine Pläne für Besuche aus Ankara und der Abschuss werde auch Auswirkungen auf die zuletzt in Wien geführten Friedensverhandlungen haben. Es sei kein Geheimnis, dass syrische Terroristen türkisches Territorium für Angriffe nutzten. Andererseits betonte Lawrow, Russland werde "keinen Krieg" mit der Türkei führen. Zudem kündigte er in den kommenden Tagen ein Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen an.

Nato-Sonderreffen

Im Nato-Hauptquartier in Brüssel waren schon am Dienstag die Botschafter der Allianz zu einem Sondertreffen zusammengekommen. Die Botschafter riefen Ankara auf, einen „kühlen Kopf“ zu bewahren. US-Präsident Barack Obama bekräftigte das Recht der Türkei, ihr Territorium und ihren Luftraum zu verteidigen. Gleichzeitig mahnte auch er beide Seiten zur Mäßigung.
Der russische Präsident, Wladimir Putin, sprach in Moskau von einem „Dolchstoß“ durch die Türken. Der Zwischenfall werde ernste Konsequenzen für das Verhältnis der beiden Länder haben. Putin warf der Türkei erneut vor, mit extremistischen Gruppen in Syrien zusammenzuarbeiten. Er sprach von „Handlangern von Terroristen“.

Türkische Fernsehsender zeigten Aufnahmen der brennenden russischen Maschine, die an der Grenze der türkischen Provinz Hatay zu Syrien abstürzte. Die amtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu meldete, der Kampfjet sei vor dem Abschuss in den türkischen Luftraum eingedrungen. Zudem sei die Besatzung des russischen Flugzeugs innerhalb von fünf Minuten zehnmal gewarnt worden.

Anadolu veröffentlichte eine Radaraufnahme der türkischen Armee, die die Grenzverletzung beweisen sollte. Einige Kommentatoren merkten an, dass die Radarkarte nicht zu der Darstellung passe, wonach der russische Jet fünf Minuten lang gewarnt worden sein soll: Laut der Karte wäre das Kampfflugzeug nur wenige Sekunden lang über türkischem Territorium gewesen.

Warnung vor Angriffen auf Turkmenen

Das russische Verteidigungsministerium erklärte, der Jet vom Typ Su-24 sei erwiesenermaßen im syrischen Luftraum gewesen und sei auch nicht von türkischen Kampfflugzeugen abgeschossen worden, sondern von einer Boden-Luft-Waffe. Ein Kommandant der syrischen Turkmenen behauptete, seine Miliz habe den Jet mit einer Rakete abgeschossen. Erst in den vergangenen Tagen hatte Ankara die russische Regierung wegen fortgesetzter Angriffe auf Siedlungsgebiete der Turkmenen unmittelbar an der türkischen Grenze gewarnt.

Eigentlich haben Moskau und Ankara nach mehrfachen Luftraumverletzungen durch russische Jets seit September vereinbart, einen Zusammenstoß an der Grenze zu vermeiden – doch im Nordwesten Syriens eskalieren die Kämpfe, weil sich die Konfliktparteien vor einem möglichen Waffenstillstand in den kommenden Wochen noch Geländegewinne sichern wollen.

Wie werden die Nato und Russland mit dem Fall umgehen? Die Türkei kann als Mitglied der Allianz den Beistand ihrer Partner einfordern. Moskau dürfte kaum an einer direkten Konfrontation mit dem Westen in Syrien interessiert sein. Doch ist der Verlust der Maschine eine psychologische Niederlage für Putin, der das russische Militärengagement in Syrien auch als Machtdemonstration gegenüber der Nato versteht. Sollte sich Russland dazu entschließen, Vergeltung für den Abschuss zu üben, „dann wird's übel“, so der türkische Politologe Sedat Laciner auf Twitter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2015)

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