Nahost: „Schlacht der Zivilisation gegen die Barbarei“

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MIDEAST ISRAEL USA DIPLOMACY(c) APA/EPA/ATEF SAFADI/POOL (ATEF SAFADI/POOL)
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Israels Premier Netanjahu fand beim Besuch des US-Außenministers in Jerusalem drastische Worte zu der Welle an Messerattacken. John Kerry versicherte seine Solidarität. Friedensverhandlungen sind in weiter Ferne.

Jerusalem. Der US-Außenminister fand klare Worte. Die „Akte des Terrorismus, die stattfanden“, sollten verurteilt werden, meinte John Kerry am Dienstag bei seinem Besuch in Jerusalem. Israel habe nicht nur das Recht, sondern die „Pflicht zur Selbstverteidigung“. Von einer „Schlacht der Zivilisation gegen die Barbarei“, sprach Israels Ministerpräsident, Netanjahu, und zog eine Verbindung zu der jüngsten Anschlagsserie in Paris. Mit Terror sei kein Frieden zu machen.

Seit Wochen kommt es zu Messerattacken und Angriffen von Palästinensern auf Israelis. Auch am Dienstag verletzte ein palästinensischer Attentäter im nördlichen Westjordanland drei israelische Zivilisten und einen Soldaten, als er sein Fahrzeug willkürlich auf sie lenkte. Am Vortag war ein Soldat an einer Tankstelle im besetzten Palästinensergebiet von einem 16-jährigen Angreifer mit einem Messer erstochen worden.

Hannan Aschrawi, Mitglied des Exekutivkomittees der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) bezeichnete Netanjahus Worte als „zynischen Missbrauch“ der Terroranschläge in Frankreich, zu denen er eine „irreführende Verbindung“ herstelle. Nicht Israel sei das Opfer, sondern die Palästinenser, „deren Land gestohlen und deren Häuser zerstört werden“.

Hoffnung, dass der Besuch von Kerry, der am Nachmittag mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zusammentraf, zu neuen Friedensverhandlungen führen würden, wurden von keiner Seite laut. Die letzte direkte Gesprächsrunde unter Kerrys Vermittlung war im Frühjahr letzten Jahres ohne jeden Fortschritt abgebrochen worden.

Kein Ende der Gewalt

In Israel gibt sich kaum noch jemand der Illusion hin, dass die aktuelle Gewaltwelle in absehbarer Zeit wieder abebben wird. Die neue Serie von Überfällen begann vor knapp zwei Monaten mit einem Konflikt um dem Tempelberg in Jerusalems Altstadt. Unter Muslimen verbreitete sich das Gerücht, Israel würde vom aktuellen Status quo auf dem Plateau vor der al-Aksa-Moschee und dem islamischem Felsendom abrücken wollen. Ein Vorwurf, den Netanjahu von sich wies.

Das Hauptproblem bei den Messerattacken, so erklärt der Terrorexperte Shaul Shay vom Interdisziplinären Zentrum für Politik und Strategie in Herzlia, sei, dass sie „jederzeit, überall und durch jeden verübt werden können“. Das Täterprofil umfasst Männer und Frauen, Palästinenser aus dem Westjordanland, arabische Israelis. Die Altersspanne reicht von elf bis 40 Jahren. Eine neue Dimension ist der Einsatz von Schusswaffen. Teil der israelischen Anti-Terror-Maßnahmen ist es, die Wohnhäuser von den Familien der Attentäter zu zerstören.

23 Tote forderte die Gewalt bisher auf israelischer Seite, rund hundert Palästinenser starben, fast 1200 sind in den vergangenen Wochen verhaftet worden. In palästinensischen Medien ist von Hinrichtung die Rede, wenn bei einer Messerattacke der Angreifer „neutralisiert“ wird – so der israelische Wortlaut, der meist die Tötung des Angreifers meint. Vor laufender Kamera war am Montag eine 16-jährige Palästinenserin erschossen worden, die in Jerusalem einen Mann mit einer Schere verletzt hatte. Ein zweites, erst 14 Jahre altes arabisches Mädchen, trug schwere Schussverletzungen im Bauch davon.

Regierung will härtere Strafen

Der Messerüberfall war der erste Anschlag in Jerusalem seit zwei Wochen. Die meisten Attacken ereignen sich im südlichen Westjordanland. Israels Sicherheitsapparat verhängte ein Einreiseverbot. Die rund 2000 Palästinenser, die in dem Siedlungsblock Gusch Etzion zwischen Bethlehem und Hebron ihren Lebensunterhalt verdienen, werden auf absehbare Zeit ihre Arbeitsorte nicht erreichen können. Israels Regierung erwägt härtere Strafen für die Familien von Attentätern, wie Einreiseverbote und die mögliche Zwangsumsiedlung der Angehörigen in den Gazastreifen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2015)

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