USA: „Wir verlieren in Afghanistan“

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RNPS IMAGES OF THE YEAR 2010(c) REUTERS (BOB STRONG)
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Hohe frühere US-Militärs warnen davor, dass der von Präsident Obama verfügte Truppenabzug die afghanische Armee fatal geschwächt und die Taliban so stark wie nie zuvor gemacht hat.

Washington. Die von den USA angeführte internationale Allianz droht die Kontrolle über den Kriegsschauplatz Afghanistan zu verlieren. Hohe frühere US-Militärs warnten am Dienstag in Washington davor, dass der Assistenzeinsatz gegen die islamistischen Taliban-Milizen schlecht geplant, zu schwach und folglich ziemlich wirkungslos wäre. Als Folge des Rückzugs westlicher Kampftruppen von den afghanischen Schlachtfeldern hätten die Taliban heute so viele Kämpfer und so viel Land unter ihrer Kontrolle wie nie zuvor.

„Unser Militäreinsatz in Afghanistan scheitert“, sagte David S. Sedney, der in den Jahren 2009 bis 2013 im Pentagon als stellvertretender Verteidigungsminister für Afghanistan, Pakistan und Zentralasien zuständig war, bei einer von der Ideenschmiede Middle East Institute organisierten Diskussionsveranstaltung. Der offizielle Einsatzauftrag, die afghanische Nationalarmee auszubilden, mit Aufklärung über die Feindbewegungen zu versorgen und im Gefechtsfall rasch aus der Luft zu unterstützen, könne mit den verbliebenen rund 9800 US-Truppen nicht erfüllt werden: „Unsere tapferen, patriotischen Soldaten bekommen keine entsprechende Ausbildung. Sie wissen nicht, was sie dort tun.“

David W. Barno, Generalleutnant in Ruhe und von 2003 bis 2005 Oberkommandant der US-Streitkräfte in Afghanistan, stieß ins selbe Horn: „Wir sind derzeit auf der Verliererstraße, und das wird so weitergehen, wenn der Truppenabzug sich fortsetzt.“

Obamas fataler Zickzackkurs

Die Afghanistanpolitik von Präsident Barack Obama hat seit seinem Amtsantritt vor knapp sieben Jahren zahlreiche Volten geschlagen. Zuerst griff Obama auf die im Irak zumindest kurzfristig erfolgreiche Taktik einer massiven Truppenaufstockung zurück. Dieser „Surge“ von rund 30.000 US-Soldaten verpuffte in den Hochgebirgstälern des Hindukusch und den staubigen Ebenen Südafghanistans aber ziemlich wirkungslos. Der Erfolg dieser Maßnahme im Irak in den Jahren 2006 und 2007 war nämlich in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die US-Heeresführung in Bagdad sunnitische Stämme mit enormen Summen Geldes dazu bewog, ihren Widerstand gegen die Besatzungstruppen zu beenden und stattdessen die örtlichen Terroristen der al-Qaida und frühere Anhänger des Regimes von Saddam Hussein zu bekämpfen.

Pakistans Rolle

Auf solchen örtlichen Rückhalt konnten die Amerikaner in Afghanistan nicht setzen – auch und vor allem, weil die Taliban gezielt vom pakistanischen Militärgeheimdienst ISI dazu genutzt werden, das Entstehen einer starken afghanischen Zentralregierung zu verhindern und den Einfluss von Erzfeind Indien in Zentralasien zu begrenzen. „Ohne Pakistans Unterstützung können die Taliban keinen Erfolg haben. Sie sind vielleicht politisch gespalten, aber der Umstand, dass sie von einer auswärtigen Macht unterstützt werden, eint sie letztlich“, sagte Ali Jalali, der bis 2005 erster Innenminister nach dem Fall der Taliban war und heute an der National Defense University in Washington forscht und lehrt.

Als Obama einsah, dass der „Surge“ wirkungslos war und nur zusätzliche gefallene US-Soldaten brachte, drehte er komplett um und versprach den Abzug aller Kampftruppen zu einem Stichtag. Dieser wurde immer wieder verschoben, seit Dezember 2014 ist das US-Militär aber, zumindest offiziell, nicht mehr im Kampfeinsatz. Das hat den Taliban ermöglicht, ihre Macht von ihren paschtunisch dominierten Hochburgen im Süden des Landes gen Norden auszudehnen und auch Städte anzugreifen; man erinnere sich an die jüngste Schlacht um Kunduz. „Sie haben heuer mehr Angriffe verübt und mehr Truppen im Einsatz als je zuvor“, warnte Sedney. „Und darum sterben nun mehr afghanische Zivilisten als je zuvor.“

15.000 US-Soldaten nötig

Den bisher letzten Kurswechsel vollzog Obama vor einem Monat. Am 15. Oktober erklärte er, dass rund 9800 US-Soldaten bis ins Jahr 2016 in Afghanistan bleiben sollten und ihre Zahl dann auf 5500 gesenkt werden solle.

Das wäre ein schwerer Fehler, warnte Thomas F. Lynch, früherer Berufssoldat in der Army und von 2008 bis 2010 Afghanistan-Berater im US-Generalstab. „9800 sind nicht genug, um wieder die Oberhand zu gewinnen. 15.000 bis 16.000 Soldaten sind erforderlich, und sie müssen in die umkämpften Regionen gehen, um die afghanische Armee im Kampf mit einer sich verändernden jihadistischen Bedrohung zu unterstützen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2015)

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