Flüchtlinge: Die Stunde der Schlepper

Pakistani migrants keep warm at the Greek-Macedonian border
Pakistani migrants keep warm at the Greek-Macedonian border(c) REUTERS (YANNIS BEHRAKIS)
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Weil Mazedonien und Serbien nur noch Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak passieren lassen, suchen sich die Abgewiesenen neue Wege. Der Menschenschmuggel floriert.

Skopje/Belgrad. Kalte Regenböen peitschen über die Zeltplanen des wie leer gefegt wirkenden Durchgangslagers im mazedonischen Gevgelija. Nur noch vereinzelt gelangten am Dienstag kleinere Flüchtlingsgruppen über die griechisch-mazedonische Grenze. Es sind heftige Stürme im ägäischen Meer, die in diesen Tagen den Fährverkehr zwischen den griechischen Inseln und dem Festland behindern – und für eine spürbare Atempause in allen Auffanglagern an der sogenannten Balkanroute sorgen.

„Freiheit! Wir kehren niemals um!“, verkündeten am Dienstag die durchweichten Protestplakate der noch wenigen im Regen ausharrenden Demonstranten hinter den von mazedonischen Sicherheitskräften abgesicherten Stacheldrahtrollen. Einige Hungerstreikende aus dem Iran haben noch gegen ihren unfreiwilligen Aufenthalt protestiert: Nicht das widrige Wetter, sondern ein umstrittenes Einreiseverbot hat die durchnässten Männer seit Tagen im Niemandsland zu Griechenland stranden lassen.

Auf Druck der EU versuchen die Transitstaaten auf der Balkanroute seit vergangener Woche, den Flüchtlingsandrang zu reduzieren. Mazedonien und Serbien lassen seitdem nur noch Kriegsflüchtlinge aus Afghanistan, dem Irak und Syrien offiziell ihre Grenze passieren. Migranten anderer Nationen haben Belgrad und Skopje mit stillschweigender Zustimmung Brüssels kurzerhand zu Wirtschaftsflüchtlingen erklärt.

Kein Durchkommen

An der mazedonisch-griechischen Grenze wurden seitdem einige tausend Flüchtlinge aus Ländern wie Pakistan, dem Iran, Bangladesch und Somalia gestoppt – und sind zum Großteil wieder verschwunden. Zumindest in Mazedonien hat die Teilsperrung der Grenze die Schlepper zurück ins Geschäft gebracht: Zwischen den Grenzen zu Griechenland und Serbien floriert wieder der Menschenschmuggel.

Viele der betroffenen Flüchtlinge, vor allem Familien mit Kindern, zogen sich wegen der widrigen Wetterbedingungen vorläufig in Aufnahmelager auf der griechischen Seite der Grenze zurück, andere überquerten die Grenze hingegen mithilfe bezahlter Helfer. „Wir sehen, dass die Schlepper erstmals seit der Öffnung der Grenze für Flüchtlinge im Juni wieder verstärkt aktiv sind, und sehen auch die Leute wieder auf eigene Faust über die Autobahn nach Norden in Richtung der Grenze zu Serbien ziehen“, berichtete Jasmin Redzepi von der mazedonischen Hilfsorganisation Legis am Dienstag der „Presse“.

Zwar dürfte der Einreisebann für Afrikaner und die Migranten der meisten asiatischen Staaten deren Reise merklich erschweren, verlangsamen – und verteuern. Die Teilschließung der Grenze werde aber langfristig zu „keinerlei Reduzierung“ der Flüchtlingszahlen an sich führen, ist Redzepi überzeugt: „Dies hält keine Flüchtlinge auf, sondern sorgt nur dafür, dass sie sich andere Wege und Routen suchen. Die Leute werden mithilfe der Schlepper nun vermutlich verstärkt über Albanien und Montenegro nach Kroatien gelangen. Solange die Flüchtlinge nach Griechenland kommen, werden sie weiter nach Norden reisen.“

Scharfe Kritik von der UNO

Heftige Kritik an Mazedonien hat mittlerweile das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR geübt, das dem Balkanstaat wegen der Pauschalklassifizierung der Ausgesperrten als Wirtschaftsflüchtlinge ohne Einzelprüfung die Verletzung des Völkerrechts vorwirft. Jeder Mensch hätte das Recht, Asyl zu beantragen – ungeachtet seiner Nationalität, sagte ein Sprecher am Dienstag in Genf. Als untragbar bezeichnete auch die österreichische Sektion der Caritas die „pauschale Abweisung“ von Flüchtlingen aufgrund ihrer Herkunft: Die durch geschlossene Grenze erzwungene Verschiebung von Fluchtrouten erhöhe letztendlich nur das Risiko für die Flüchtlinge – und die Gewinne der Schlepper.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2015)

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