Irak: "Sie haben uns das Töten gelehrt"

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Er wurde vom sogenannten Islamischen Staat zum Morden erzogen, nun sitzt Mohammed W.im kurdischen Gefängnis. Dort erzählt er emotionslos vom Erschießen unschuldiger Zivilisten.

Erbil. Der Soldat am Schlagbaum hebt mahnend den linken Zeigefinger, als sich der Wagen nur ein kleines Stück vorwärtsbewegt. Dabei legt er die rechte Hand auf seine Pistole im Gurt. Neben ihm steht griffbereit eine Kalaschnikow. Der Wachmann telefoniert, nickt dann kurz und öffnet, ohne eine Miene zu verziehen, die Schranke.

Ein ungepflasterter Weg führt zwischen einem Gewirr von grauen Gebäuden durch, alle nicht höher als ein Stockwerk. Es ist ein ehemaliges Krankenhausgelände, das ganz und gar nicht wie ein militärisch geführter Stützpunkt aussieht, zu dem es vor über einem Jahr umfunktioniert wurde. Kabelbäume hängen aus den Wänden, kaputte Tische und Stühle liegen umgekippt herum, dazu verschmutzte, stinkende Plastikeimer und verrostete, alte Kübel.

Vielleicht ist das alles nur Tarnung. Denn hier ist eine Verhörzentrale für Gefangene des sogenannten Islamischen Staats (IS) untergebracht. Es ist ein streng geheim gehaltener Ort, irgendwo in der nordirakischen Stadt Kirkuk und den Ermittlern der Asayisch vorbehalten. Das ist die Geheimpolizei der autonomen Kurdenregion (KRG) im Irak.

Mohammed W. wird mit verbundenen Augen gebracht, die Hände in Handschellen. Er zittert ein wenig, trägt ein blaues Hemd, eine traditionell weite kurdische Hose und steckt mit nackten Füßen in schwarzen Plastiksandalen. Die Binde darf er erst abnehmen, als der Chef des Ermittlerteams, Kaban Hawleri (Namen geändert, Anm.), seine Motorradmütze über das Gesicht gezogen hat. Sie soll ihn vor späteren möglichen Repressalien schützen. Das Gespräch findet in einem nur wenige Quadratmeter großen Büro statt. Es ist so schäbig, wie die ganze Anlage aussieht. Die Stühle wackeln, die Fenster sind notdürftig geflickt und undicht.

Mohammed wirkt etwas bleich und wippt mit den Füßen auf und ab. Mit dem Daumen kratzt er sich ständig an einer Hand und hält dabei seine Augenbinde fest. Der IS-Verdächtige ist vor 15 Tagen in einem Dorf, in der Nähe von Kirkuk gefangen worden. „Er war mit Schmugglern unterwegs“, erzählt der Geheimdienstmann Hawleri. „Wir haben von einer unserer Quellen einen Tipp bekommen und ihn geschnappt.“ Der Chefermittler ist auf diesen Fang besonders stolz. „Denn das ist ein richtiger Killer“, sagt er. „Dieser Araber hat viele Menschen ermordet.“

Sechsmal exekutieren

Von vielen Morden spricht Mohammed nicht. Der erst 21-jährige Iraker will „nur“ sechs getötet haben, und das unter Zwang, wie er betont. Im Verlauf des gesamten Gesprächs bleibt er im immer gleichen, ruhigen, fast einfältigen Tonfall – beinahe so, als habe er mit all dem nichts zu tun. Mohammed war im Juni 2014 zum IS gegangen. Ein gewisser Tahar Aziz Mehdi hätte ihm eine Gehirnwäsche verpasst. Dieser Mann stammte, wie er, aus Aldor, einem Ort in der Nähe von Tikrit, der Heimatstadt von Ex-Diktator Saddam Hussein.

In dieser Gegend absolvierte Mohammed drei Monate ein Trainingslager. Für den Chefermittler der Asayisch ist das der deutliche Beweis, dass Mohammed für eine Spezialeinheit, ein Killerkommando, ausgebildet wurde. „Normale IS-Rekruten werden nur 45 Tage trainiert, bevor sie zum Einsatz kommen“, sagt Hawleri. „Wer drei Monate ausgebildet wird, ist kein normaler Kämpfer.“

Mohammed lernte mit Waffen umzugehen, den Bau von Bomben, erhielt Kampfsporttraining. Das mag für ein IS-Camp nicht außergewöhnlich sein. Aber im Exekutieren systematisch geschult zu werden ist dann doch ein anderes Niveau im Trainingskatalog des IS. „Uns wurde beigebracht, Menschen mit der Pistole hinzurichten“, erzählt Mohammed ohne große Regung.

Der IS habe andauernd gefangene irakische Soldaten herangeschafft, oder auch Zivilisten, die man Verräter nannte. „Sie wurden dann im Training erschossen.“ Er habe sechsmal exekutieren müssen, fügt er hinzu. Dann lächelt er teilnahmslos. Es müssen insgesamt Hunderte von Opfer gewesen sein, die in Mohammeds Lager zu „Übungszwecken“ mit Pistolenschüssen aus nächster Nähe in den Kopf gnadenlos ermordet wurden. In einem IS-Trainingscamp nehmen an einem Lehrgang etwa 100 Rekruten teil.

Damals, im Juni vor einem Jahr, startete der IS seine Invasion im Irak. Viele Tausende irakische Soldaten, Jesiden und andere Zivilisten fielen der Terrorgruppe in den Folgemonaten in die Hände. Opfer gab es genug, und man weiß, dass die Extremisten vor keiner noch so brutalen Tat zurückschrecken.

Nach dem Ende seiner Ausbildung will Mohammed niemanden mehr ermordet haben. „Ich wurde an Straßencheckpoints eingesetzt, um die Autos zu kontrollieren.“ Aber genau das will ihm Hawleri nicht abnehmen. „Wer ein derartiges Training erhält, steht an einem Checkpoint“, kommentiert der Geheimpolizist mit seiner hellbraunen Maske über den Kopf. „Der hat weiter getötet und getötet – entweder bei den internen IS-Sicherheitsdiensten oder an der Front.“

Darüber schweigt sich Mohammed natürlich aus und bleibt bei seiner Version. Mit seinem Geständnis über seine Morde im Trainingslager hat er sich ohnehin schwer genug belastet. „Wie lang er ins Gefängnis muss“, sagt Hawleri, „das entscheidet das Gericht.“ Wenn er jedoch vor eine irakische Kammer kommt, dann könnte Mohammed die Todesstrafe blühen. „In der KRG gibt es sie nicht mehr, aber im Irak“, kommentiert der Geheimpolizist. Wahrscheinlich wird erst nach Ende des Krieges mit dem IS darüber entschieden, wo Mohammed und anderen IS-Gefangenen der Prozess gemacht wird.

Vom IS desertiert?

„Ich bitte heute Gott um Verzeihung für meine Taten“, erklärt der ehemalige IS-Kämpfer. Als Beweis für die Echtheit seiner Reue führt er „seine Desertion“ vom IS an; im Juli 2015 habe Mohammed angeblich die Terrorgruppe verlassen. Er habe so viele falsche Dinge gesehen, Frauen ohne richtige Verschleierung seien bestraft, Leute ohne Grund verhaftet und viele ermordet worden. Deshalb sei er mit seiner Frau, Mutter, Schwester und seinem Vater geflohen. Zuerst nach Syrien, dann in die Türkei, und als ihnen dort das Geld ausging, wieder zurück in den Irak, wo man ihn verhaftet hat. Ist er doch nur ein Mann, der missbraucht wurde und zu spät erkannte, was für einen großen Fehler er gemacht hat?

Bei Ermittler Hawleri liest sich die Geschichte Mohammeds ganz anders. „Die meisten Bewohner seines Heimatorts flohen, als der IS kam, aber seine Familie blieb.“

Als sie im Juli dieses Jahres flüchtete, musste der IS vor heranrückenden irakischen Truppen den Rückzug antreten. Es sei keine freiwillige Flucht Mohammeds gewesen, so Hawleri. Noch heute kämpfen zwei seiner Brüder beim IS. „Die ganze Familie scheint mit der Terrorgruppe etwas zu tun gehabt zu haben.“

Für Hawleri bergen die Geschichten von IS-Gefangenen schon lang keine Überraschungen mehr. Er hat hunderte Biografien gehört. Wie viele Gefangene er im vergangenen Jahr verhört hat, weiß er nicht mehr. Jeden Tag kommen neue Häftlinge an. Das liegt an den Erfolgen der Truppen der KRG gegen die Extremisten, die immer mehr Terrain verlieren. Erst vor zwei Wochen konnte die Jesidenstadt Sinjar in nur 48 Stunden zurückerobert werden. Angesichts der Übermacht musste sich der IS nahezu kampflos aus der Stadt zurückziehen.

Nutznießer des alten Konflikts

„Wir haben hier alle Typen von IS-Kämpfern“, erzählt Hawleri. „Viele haben studiert, einige wenige haben sogar einen Doktortitel. Der Großteil aber ist ungebildet und kommt aus ärmlichen Verhältnissen.“ Er glaubt, dass die Popularität des IS im Irak auf die untergeordnete Rolle von Sunniten nach dem Sturz Saddam Husseins zurückzuführen sei. Der IS würde das Minderwertigkeitsgefühl ausnützen.

Mohammed sitzt weiter auf seinem Sessel und hört den Ausführungen Hawleris stumm zu. Verstehen kann er kaum etwas, denn er spricht nur Arabisch und sein Vernehmer jetzt Kurdisch. „Der IS war mein größter Fehler, glauben Sie mir“, sagt Mohammed. Dann setzt er seine graue Augenbinde auf und wird aus dem schalen Büro in seine Zelle gebracht. Hawleri nimmt die Maske ab und kann sich endlich eine Zigarette anzünden.

AUF EINEN BLICK

IS-Gefangene. In der nordirakischen Stadt Kirkuk hat die Geheimpolizei der autonomen Kurdenregion ein Verhörzentrum für gefangene IS-Kämpfer eingerichtet. Seit dem Zurückdrängen der IS-Extremisten aus einigen irakischen Regionen kommen dem Chef des Ermittlerteams zufolge jeden Tag zahlreiche neue Gefangene in Kirkuk an.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2015)

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