Tunesien: Arabisches Erfolgsmodell im Visier des Terrors

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Attentat gegen die Präsidentengarde traf ein Symbol des Staates und erschütterte heuer bereits zum dritten Mal das nordafrikanische Land. Das Augenmerk der Regierung gilt den heimischen Jihadisten und ihrem Unterschlupf in Libyen.

Wien/Tunis. An den Staatsbesuch in Europa war nicht mehr zu denken. Der Präsident Tunesiens, Béji Caïd Essebsi, der in wenigen Tagen seinen 89. Geburtstag feiern wird, hat seine Visite in der Schweiz umgehend abgesagt, nur kurz nachdem an dem regnerischen Dienstagabend in Tunis eine Bombe hochgegangen ist. Der Präsident – eine Integrationsfigur, die sich ganz der Demokratisierung und Modernisierung des Landes verschrieben hat – musste sich stattdessen neuerlich mit dem Hauptfeind der Regierung herumschlagen, dem islamischen Extremismus.

Zwei Mal hatte sich der Terror im Namen des sogenannten Islamischen Staats (IS) heuer schon gegen das Herz Tunesiens gerichtet: Nach den Anschlägen gegen das Bardo-Museum im März in Tunis und die Anlage eines Luxushotels im Juni in Sousse ist der Tourismus in dem Maghrebstaat prompt massiv eingebrochen. Diesmal zielte der IS-Terror im Zentrum der Hauptstadt, unweit des Innen- und Tourismusministeriums auf dem Boulevard Mohammed V., indessen auf ein Symbol des Staates: den Präsidenten selbst. Ein Selbstmordattentäter, ein „einsamer Wolf“ wie der Attentäter in Sousse, der mit seiner Kalaschnikow 38 Menschen niedergemäht hatte, zündete am Dienstagabend seinen Bombenrucksack, riss ein Dutzend der Elitesoldaten mit in den Tod, verwundete 20 weitere, gerade als diese ihren Bus bestiegen.

Martialische Parolen

Nur wenige Wochen nachdem er den Ausnahmezustand aufgehoben hatte, verhängte der Präsident neuerlich den Notstand über sein Land. In seiner TV-Ansprache gab sich Essebsi unbeugsam und martialisch; und sie klang ein wenig wie das Echo auf die Kriegsrhetorik des französischen Präsidenten, François Hollande. Der Präsident, als damaliger Innen-, Verteidigungs- und Außenminister einer der Gründerväter des modernen Tunesien der Bourguiba-Ära, schwor seine Landsleute auf einen harten Kampf ein. „Die Terroristen wollen die Angst in die Herzen der Menschen träufeln, aber wir werden die Angst in ihre Herzen zurücktragen. Wir werden den Horror in die Terrorcamps bringen.“ Die Rede endete mit der Beschwörung optimistischer und patriotischer Parolen: „Wir sind im Krieg, und wir werden ihn gewinnen. Der Sieg wird auf Tunesiens Seite sein.“

Der IS und seine Ableger in Nordafrika haben Tunesien gezielt ins Visier genommen. Unter dem Eindruck der Attentate hat die Regierung in Tunis auf die jihadistischen Bedrohung zuletzt mit strikteren Antiterrorgesetzen und einer Verstärkung der Sicherheitskräfte reagiert. Zaghafte Erfolge stellen sich inzwischen ein. Neulich hob die Polizei eine IS-Terrorzelle aus. Der Einzelkämpfer ist sie allerdings noch nicht Herr geworden.

In der tunesischen Provinzstadt Sidi Bouzid setzte sich im Dezember 2010 der Gemüsehändler Mohammed Bouazizi in Brand. Sein Selbstmord sollte das Fanal für die Protestwelle des Arabischen Frühlings sein, die erst den tunesischen Diktator Ben-Ali der Macht enthob, und in Folge die Machthaber in Ägypten und Libyen, Hosni Mubarak und Muammar al-Gaddafi, um schließlich in Syrien einen blutigen Bürgerkrieg zu entfachen. Tunesiens demokratischer Übergang mit freien Wahlen und Verfassung gilt als arabisches Erfolgsmodell. Die Jury in Oslo würdigte heuer Aktivisten der Demokratiebewegung demonstrativ mit dem Friedensnobelpreis.

Rückzugsgebiet jenseits der Grenze

Angestachelt von radikalen Predigern in der Heimat, angetrieben von Armut und Perspektivlosigkeit sind in den vergangenen Jahren indessen an die 4000 Kämpfer aus Tunesien in den Jihad gezogen, ins fragile, von Chaos und Anarchie zerrissene Nachbarland Libyen, nach Syrien und in den Irak. Innerhalb des IS stellen die tunesischen Jihadisten mithin das womöglich größte Kontingent an ausländischen Kämpfern.

Vor allem in Libyen, wo sich ein Machtvakuum ausgebreitet hat, genießen die tunesischen Jihadisten Schutz vor staatlicher Autorität. Gaddafis ehemaliges Wüstenreich fungiert gleichermaßen als Ausbildungslager und Rückzugsgebiet. Über die kaum kontrollierbare Wüstengrenze schlüpfen die Terroristen fast nach Belieben hin und her, obwohl Tunesien neuerdings einen Sicherheitswall errichtet. An Solidaritätsadressen des Westens für Tunesien fehlt es nicht, jedoch an Überwachungstechnologie, Hubschraubern und Jeeps für die Grenzpatrouillen. Präsident Essebsi richtete einen Appell an die Partner im Westen: „Den Kampf gegen den Terror kann ein Land allein nicht schaffen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2015)

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