Weißwaschung eines Diktators: Geschichtsunterricht à la Park

South Korea's President Park arrives at a session of the ASEAN Summit in Kuala Lumpur
South Korea's President Park arrives at a session of the ASEAN Summit in Kuala LumpurREUTERS
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Präsidentin Park Geun-hye will „korrekte“ Geschichtsbücher in den Schulen. Sie hat dafür ganz persönliche Gründe.

Seoul/Wien. Eigentlich hätte das Bildungsministerium in Seoul ja genug zu tun: Südkoreas Bildungssystem gilt als eines der härtesten der Welt. Folge: Auch die Selbstmordrate unter Schüler gehört aufgrund des Leistungsdrucks in Familie, Schule und Gesellschaft zu den höchsten der Welt. 878 Suizide waren es zwischen 2009 und 2014, 118 allein im vergangenen Jahr. Aber das Bildungsministerium in Seoul hält andere Dinge offenbar für viel wichtiger: Wohl auf Anweisung aus dem Blauen Haus, dem Sitz der Staatspräsidentin, hat es im November den Startschuss für die Uniformierung des Geschichtsunterrichts gegeben. Südkoreas Schulen sollen nicht wie bisher zwischen acht verschiedenen Geschichtsbüchern privater Schulbuchverlage auswählen können, sondern nur noch eines soll im Unterricht verwendet werden: das „korrekte“, das vom Staat gutgeheißene Geschichtsbuch.

Südkorea, zwölftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, stellt sich damit in eine Reihe mit Ländern wie Vietnam, Mongolei, Sri Lanka und seinem Nachbarn Nordkorea, die ebenfalls nur ein staatlich genehmigtes Geschichtsbuch im Unterricht zulassen. Und Südkorea bewegt sich in eine ähnliche Richtung wie Russland, wo auch vom Präsidentensitz im Kreml aus bestimmt wird, wie Geschichte zu lehren und zu interpretieren ist.

Die regierende konservative Saenuri-Partei von Präsidentin Park Geun-hye nörgelte schon lang an den jetzt verwendeten Geschichtsbüchern herum: Sie seien marxistisch angehaucht, zu unkritisch gegenüber dem kommunistischen Nordkorea und zu kritisch gegenüber den Militärdiktatoren, die das Land mehrerer Jahrzehnte beherrscht haben. Hier kommt die Präsidentin ins Spiel: Denn ihr Vater war der Militärdiktator Park Chung-hee, der sich 1961 an die Macht putschte und regierte, bis er 1979 von seinem Geheimdienstchef ermordet wurde.

Themen, die negiert werden sollen

Tochter Park Geun-hye erklärte schon 1989 in einem Fernsehinterview, dass die Machtübernahme ihres Vaters 1961 kein Militärputsch, sondern eine „Revolution zur Rettung der Nation“ gewesen sei. Das sehen freilich nur ganz wenige Historiker auch so. Sie verweisen auf die harte Unterdrückung der Opposition, Folter und Zensur. Zwar negieren auch sie nicht den wirtschaftlichen Aufschwung, den Südkorea in der Ära Park Chung-hee machte und den seine Tochter im Rückblick in den Vordergrund gerückt haben will. Aber sie wollen auch nicht die überharten Arbeits- und Lebensbedingungen während dieser Industrialisierungsphase verschweigen.

Solchen Aspekten soll im „korrekten“ Geschichtsbuch, das 2017 in die Schulen kommen soll, offenkundig weniger Aufmerksamkeit gewidmet werden – auch nicht den Massenmorden, die es während des Bürgerkriegs in den 1940er- und 1950er-Jahren auch im Süden der koreanischen Insel gab und auch nicht den Repressionen während der Militärdiktaturen. Die Kollaboration südkoreanischer Eliten mit dem japanischen Besatzungsregime in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ist für die heutigen Machthaber ein besonders heikler Punkt. Erst jüngst wurde bekannt, dass der Vater des jetzigen Chefs der Saenuri-Partei während des Zweiten Weltkriegs zu Spenden für die japanische Kriegswirtschaft aufgerufen hatte.

Präsidentin Park Geun-Hye ist nicht die erste Staatschefin Südkoreas, die von Japan eine korrekte Vergangenheitsbewältigung und ein Schuldeingeständnis für die in Korea und gegenüber Koreanern begangenen Verbrechen während der Kolonial- und Kriegszeit fordert. Eine in den Augen von Historikern berechtigte Forderung – gerade vor dem Hintergrund, dass es unter dem jetzigen japanischen Premier Shinzo Abe klare Anzeichen von Geschichtsrevisionismus gibt, der die ostasiatischen Nachbarn schwer verstört. So hat das japanische Bildungsministerium heuer selbst Richtlinien für die Schulbuchverlage erlassen, dass die in ihren Büchern geäußerten Ansichten mir denen der Regierung übereinstimmen müssten.

Dass nun die südkoreanische Regierung genauso vorgeht wie die japanische, schwächt ihre eigene Position gegenüber Japan. Südkoreanische Historiker warnen eindringlich davor, dass die anachronistische Vorgangsweise beider Länder in ihrer Geschichtspolitik nur zu weiteren Missverständnissen zu Hause und in ganz Ostasien führen könne: „Wir sollten doch endlich gelernt haben, in welche Abgründe diese Form von Ultranationalismus führen kann“, sagt ein Professor der Yonsei-Universität in Seoul.

SCHULBUCHSTREIT

Geschichtsunterricht. Die südkoreanische Regierung hat Anfang November beschlossen, acht Bücher privater Verlage für den Geschichtsunterricht aus dem Verkehr zu ziehen und nur noch ein „korrektes“, staatlicherseits genehmigtes Schulbuch zuzulassen. Angeblich seien die jetzt verwendeten Bücher marxistisch angehaucht, zu freundlich gegenüber Nordkorea und zu kritisch gegenüber den südkoreanischer Militärdiktatoren. Gegner dieser Maßnahme kritisieren, der jetzigen Staatschefin Park Geun-hye gehe es vornehmlich darum, ihren Vater, Militärdiktator Park Chung-hee (1961–1979), historisch reinzuwaschen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2015)

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