Im Wahhabitenreich der Widersprüche

AM KURZ IN SAUDI-ARABIEN: KURZ / AL-JUBEIR
AM KURZ IN SAUDI-ARABIEN: KURZ / AL-JUBEIRAPA/DRAGAN TATIC
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Außenminister Kurz stieß bei seinem Besuch auf einen knirschenden Wüstenstaat. Doch König Salman duldet kein Zeichen der Schwäche.

Alle sind angeschnallt. Eine sanfte Stimme erhebt sich und rezitiert das Reisegebet. Auf Arabisch, Türkisch und Englisch. Schon über türkischem Luftraum schenken die Flugbegleiter kein Bier mehr aus. Und vor der Landung verhüllen sich die Passagierinnen mit Abayas, rabenschwarzen Gewändern. Die Reise führt nach Saudiarabien, ins Land der heiligen Stätten des Islam, ins erzkonservative Reich der 8000 Prinzen und der unzähligen Widersprüche.

Sebastian Kurz begibt sich auf eine Gratwanderung. Die hitzigen Debatten um das umstrittene König-Abdullah-Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog in Wien haben Spuren hinterlassen, auch die vorübergehende Schließung einer saudischen Schule und das neue Islamgesetz. Eine Zeit lang waren die Beziehungen arg zerrüttet. Im April musste deshalb eine österreichische Wirtschaftsmission ihren geplanten Besuch in Riad absagen. Mittlerweile scheint alles wieder im Lot, auch wenn der neue saudiarabische Botschafter seinen Dienst in Wien noch immer nicht angetreten hat.

Es ist still geworden um das Dialogzentrum, seit der sogenannten Neuaufstellung, seit ein Spanier der unglücklichen Vize-Generalsekretärin Claudia Bandion-Ortner nachgefolgt ist. Die Organisation gibt pflichtschuldig ihre Presseaussendung zu Terroranschlägen heraus. Niemand beachtet sie, auch das Bundeskanzleramt hat das Interesse verloren. Das Dialogzentrum ist kein Thema mehr.

Hautgout der Heuchelei

Doch das Dilemma, der Hautgout, die Heuchelei bleiben: Ein Staat, der keine Religionsfreiheit duldet, sponsert im Ausland eine Organisation, die sich der Toleranz verschrieben hat. Außenminister Kurz spricht Menschenrechtsverletzungen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem saudiarabischen Amtskollegen, Adel al-Jubeir, an, er muss sie ansprechen. „Da haben wir einen gänzlich anderen Zugang“, sagt er. „Die Todesstrafe und körperliche Strafen sind unmenschlich und klar abzulehnen.“ Al-Jubeir sitzt neben ihm und zuckt mit keiner Wimper. Er kennt das Ritual. Kurz ist nicht der erste Gast aus dem Westen, den er empfängt. Zum Fall Badawi will sich der sanft wirkende saudische Chefdiplomat nicht äußern. „Wir erwarten, dass alle anderen Länder unser Justizsystem respektieren. Unsere Gerichte sind nicht politisiert“, sagt er, ohne rot zu werden.

Raif Badawi, ein Blogger, ist zu 1000 Peitschenhieben und zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er sich in seinen Schriften über den wahhabitischen Klerus lustig gemacht und Religionsfreiheit gefordert hat. Er ist zu einer Symbolfigur geworden. Regelmäßig halten die Grünen vor dem Wiener Dialogzentrum Mahnwachen für ihn ab. In Riad ist zu hören, dass mit keinen weiteren Auspeitschungen zu rechnen ist und Badawi auch freikommen könnte, wenn er ein Begnadigungsgesuch stellen würde. Doch der Aktivist will keine Reue zeigen, denn er ist überzeugt, im Recht zu sein.

Kurz verlangt seine Freilassung, doch er blitzt ab. Er setzt sich auch für den Dichter Ashraf Fayadh ein. Der Palästinenser sieht seiner Hinrichtung entgegen. Ihm wird vorgeworfen, vom Islam abgefallen zu sein. Der Fall, heißt es, könnte gelöst werden. Weniger Hoffnung gibt es für den 17-jährigen Schiiten Ali Nimr, der im Gefängnis sitzt, weil er an einer Demonstration teilgenommen hat.

Unter König Salman ist die Gangart nicht gemächlicher geworden. Im Gegenteil: Die Anzahl der Hinrichtungen erhöhte sich heuer. Der neue Machthaber will sich kein Zeichen der Schwäche erlauben. Im Königshaus rumort es ohnehin. Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass Salmans junger Sohn, Verteidigungsminister Mohammed bin Salman, die derzeitige Nummer drei, ganz nach oben drängt.

Es knirscht im Wüstenstaat. Heuer werden die steinreichen Ölprinzen wieder ein Budgetdefizit aufreißen, vermutlich im Umfang von 34 Milliarden Dollar. Sie halten den Ölpreis künstlich niedrig, damit sich Fracking nicht rentiert. Eine gefährliche Strategie, die sich nur ein paar Jahre mit den enormen Fremdwährungskrediten wird überbrücken lassen. Langfristig werden die saudischen Prasser, die ihr Volk während des Arabischen Frühlings mit großzügigen Geldgeschenken ruhiggestellt haben, sparen müssen. Denn die Bevölkerung soll von derzeit knapp 30 Millionen Einwohnern bis zur Mitte des Jahrhunderts auf 45 Millionen ansteigen.

Ist das System des Hauses Saud auf Sand gebaut? Scheitert es an seinem internen Widerspruch, am Bündnis eines korrupten Königshauses mit den streng religiösen Wahhabiten? Kommt der IS? Bricht demnächst ein interner Machtkampf aus?

Von den kolportierten gesundheitlichen Problemen des Königs bemerkt Kurz freilich nichts. Er trifft den Machthaber und den Thronfolger, Innenminister Mohammed bin Nayef, zu einer 30-minütigen Unterredung im Herrscherpalast. Eine Art Gunstbeweis.

Sicherheitsrisiko IS

Kurz hält es trotz aller Differenzen für nötig, den Kontakt zu den Saudis zu halten. Allein aus wirtschaftlichen Gründen: Saudiarabien ist der wichtigste Geschäftspartner in der Region. Das Handelsvolumen liegt bei mehr als einer Milliarde Euro. Auch der Tourismus boomt. Heuer sind um 20 Prozent mehr saudische Urlauber nach Österreich gekommen. Sie lieben Wien, Zell am See und den Regen.

Und dann gibt es noch politische Gründe: „Saudiarabien ist einer der wichtigsten Player in einer der konfliktgeladensten Regionen, die auch direkte Auswirkungen auf uns hat. Das sollte seit der Flüchtlingskrise allen klar sein“, sagt Kurz. Ohne Saudis werde es keine Lösung in der Syrien-Krise und beim Kampf gegen den sog. Islamischen Staat (IS) geben.

Ideologisch sind der IS und die Wahhabiten nicht weit voneinander entfernt. Beide verfolgen eine besonders strikte Auslegung des Islam, beide köpfen, beide erlauben Christen nicht, Kirchen zu bauen. Bei beiden spielen Frauen eine untergeordnete Rolle. In Saudiarabien dürfen Frauen sich ohne Einwilligung eines Vormunds nicht frei bewegen. Ihnen ist nicht einmal gestattet, ein Auto zu lenken.

Doch ein Terrorstaat ist Saudiarabien nicht. Im Gegenteil: Für den Wüstenstaat stellen die IS-Extremisten inzwischen ein gewaltiges Sicherheitsrisiko dar. Allein heuer haben IS-Attentäter 17 Terroroperationen in Saudiarabien durchgeführt und dabei mehr als 60 Menschen getötet. Der IS habe es auf Saudiarabien abgesehen, auf Mekka und Medina, auf die Ölfelder, auf den Nerv der Weltwirtschaft, wie Mansour Sultan al-Turki, der Sprecher des Sicherheitsministeriums, ausführt. Ziel der Extremisten sei es, mit Anschlägen auf die schiitische Minderheit im Land Chaos zu säen. Längst haben die Behörden die Hotline-Nummer 990 eingerichtet. Täglich gehen Tipps von Bürgern ein. Sogar eine App soll nun eingerichtet werden. Seit Beginn des Jahres seien 800 Terrorverdächtige festgenommen worden, sagt al-Turki.

3000 saudische Kämpfer

Der Kreis potenzieller IS-Anhänger ist groß. Fast 3000 saudische Kämpfer sind in den Krieg nach Syrien gezogen. Zuletzt aber, so al-Turki, habe der IS dazu aufgerufen, in Saudiarabien zu bleiben. Die Attentäter sind meist jung, zwischen 18 und 20 Jahren. Sie fühlen sich angesprochen von der Propaganda, die in sozialen Medien verbreitet wird. Wer sich auf Twitter einklinkt, dem drohen inzwischen Strafen. Seit 2014 müssen Syrien-Heimkehrer mit mindestens drei Jahren Haft rechnen. Die Finanzströme saudischer Privatiers zum IS sollen inzwischen unterbunden sein, beteuert der Sicherheitssprecher.

In Syrien stehen die Saudis auf der Seite der Rebellen. Sie wollen Präsident Bashar al-Assad stürzen und den Einfluss des Iran zurückdrängen. Zuletzt saßen die Außenminister der regionalen Erzfeinde bei der Syrien-Konferenz in Wien erstmals an einem Verhandlungstisch. Außenminister al-Jubeir wäre auch einem bilateralen Treffen nicht abgeneigt, wie er gegenüber der „Presse“ erklärt. Vor einem Jahr schon habe er seinen iranischen Amtskollegen, Javad Zarif, nach Saudiarabien eingeladen. Bisher erfolglos. Saudiarabien sei an guten Beziehungen interessiert. Doch der Iran müsse seine Interventionen in Syrien, in Bahrain und im Jemen einstellen. Das klingt alles sehr gemäßigt. Doch in Wirklichkeiten führen die Saudis in der Region längst Stellvertreterkriege gegen die schiitische Regionalmacht.

Treffen der syrischen Opposition in Riad

Im Moment müht sich al-Jubeir gerade, eine gemeinsame Plattform der syrischen Opposition zu zimmern. So lautet der Auftrag, den ihm die Syrien-Konferenz in Wien erteilt hat. Eine schwierige Mission. Es gibt mehr als 250 syrische Oppositionsgruppen. Ab 5. Dezember schon sollen 60 Oppositionelle aller Richtungen in Riad zu einem ersten Treffen zusammenkommen. Aus ihrem Kreis sollen sie ein paar Vertreter wählen, die Anfang des nächsten Jahres unter der Führung des UNSonderbotschafters Staffan de Mistura mit Assads Regime verhandeln.

Was Assads Zukunft anlangt, bleiben die Saudis hart. „Assad hat zwei Optionen: Er kann friedlich zurücktreten oder gestürzt werden“, sagt al-Jubeir. Das schreiben dann auch die zwei saudiarabischen Journalistinnen, die die Pressekonferenz durch einen Sehschlitz in ihrer Abaya verfolgt haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2015)

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