Suchoi-Abschuss: Konnten Piloten Warnung nicht hören?

Suchoi Su-24
Suchoi Su-24 "Fencer" hebt bei der russischen Airbase nahe Latakia abREUTERS
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Die Funksysteme des von der türkischen Luftwaffe abgeschossenen "Fencer"-Bombers könnten laut Militäranalysten gar nicht für den Empfang einer bestimmten Warnfrequenz ausgelegt gewesen sein.

"Es gab keinerlei Warnung, keinen Austausch über Funk, keinen Sichtkontakt, überhaupt keinen Kontakt." Das sagte Konstantin Murachtin, überlebender Co-Pilot bzw. Waffenoffizier des am 23. November von einem türkischen Jagdflugzeug abgeschossenen Frontbombers Modell Suchoi Su-24 "Fencer", wenige Tage nach seiner Rettung aus syrischem Gebiet in russischen Medien.

Das Flugzeug sei übrigens auch nicht in türkischen Luftraum eingedrungen - eine Aussage, die von russischer Seite betont wird, der die Türken aber basierend auf ihrer Radarüberwachung widersprechen: Demnach sei die Fencer durchaus kurz, die Rede ist von 17 Sekunden, über einem schmalen Zipfel türkischen Gebiets an der syrischen Grenze in der Nähe des Mittelmeers geflogen.

Am Fallschirm hängend erschossen

Der Pilot war während der Fallschirmlandung von syrischen Aufständischen übrigens erschossen worden - ein Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht (I. Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen, Artikel 42): Demnach dürfen Insassen von Luftfahrzeugen, die in einer Notlage per Fallschirm abspringen, während des Herabgleitens zur Erde nicht angegriffen werden und ihnen ist nach der Landung Gelegenheit zu geben, sich zu ergeben. Luftlandetruppen sind dadurch nicht geschützt.

Gedenken in Moskau an den getöteten russischen Fencer-Piloten, Oberstleutnant Oleg Peschkow
Gedenken in Moskau an den getöteten russischen Fencer-Piloten, Oberstleutnant Oleg PeschkowAPA/EPA/MAXIM SHIPENKOV

Doch wie dem auch sei: Tatsächlich ist es möglich, dass die zwei Piloten der Su-24 die Funkwarnung (die Türken wollen gleich zehn Mal innerhalb von fünf Minuten von einer Bodenstation aus gewarnt haben, dass sich die Fencer und ihr Begleiter der Grenze näherten) wirklich nicht hören konnten: Aus puren technischen Gründen, die mit dem Kommunikationssystem der Fencer zu tun haben. Das schrieb Reuben Johnson, Militärfachanalyst des internationalen Magazins "Jane's Defence", am Freitag unter Berufung auf russische Quellen und Informanten.

Fotosequenz vom Absturz der Fencer
Fotosequenz vom Absturz der FencerREUTERS


"Russische Spezialisten, die sich mit dem R-862 VHF-Funkgerät in den Su-24M auskennen, sagen, dass es ein optionales Zusatz-Empfängermodul benötigt, um Mitteilungen auf den internationalen Notrufkanälen im ultra-high-frequency-band (UHF) und im very-high-frequency-band (VHF) zu empfangen", so Johnson, der Russisch spricht. Diese Notrufkanäle seien bei 121.5 MHz (VHF) und 243 MHz (UHF), und: "Es ist unklar, ob die betreffende SU-24M das besagte Receivermodul installiert hatte. Wenn nicht, oder wenn die Besatzung daran nicht geschult war, könnte die Crew tatsächlich die Funkwarnungen der Türken gar nicht gehört haben."

Der Hersteller des erwähnten Funkgeräts, "Yaroslavl Radioworks" (siehe Link oben), gibt tatsächlich ausdrücklich auf der Produktbeschreibung an, dass es den Apparat mit oder ohne Notkanalreceiver geben kann.

Kein Receiver-Zusatzmodul?

Die erwähnten Frequenzen sind laut Funktechnikern für den zivilen Luftverkehr (121,5 Mhz, "International Air Distress) bzw. den militärischen Bereich (243 Mhz, "Military Air Distress"); beide sind ausdrücklich auch zu benützen, wenn ein Luftfahrzeug droht, in einen gesperrten oder sonst fremden Luftraum einzudringen.

Wieso Militärflugzeuge in einer Kriegssituation ohne dieses Zusatzmodul fliegen würden, schrieb der Analyst allerdings nicht. Auch von Seiten der russischen Regierung lag zu der Vermutung noch keine Stellungnahme vor.

Von anderen Beobachtern kommen unterdessen Vermutungen, dass das "relativ antiquierte" Navigationssystem der Fencer eine Abweichung in türkisches Gebiet nicht exakt anzeigen konnte. Tatsächlich sei auf Fotos mehrfach aufgefallen, dass Piloten von Fencers sowie Su-25 "Frogfoot"-Erdkampfjets handelsübliche zivile GPS- oder Glonass-Receiver mit ins Cockpit nehmen würden, was Zweifel an den Bordsystemen nährt.


Allerdings heißt es auch, dass die in Syrien stationierte russische Luftraumüberwachung und ihre Kontrollsysteme von überaus modernem Standard seien, inklusive des "96L6"-Langstreckenradars. Damit hätten die Russen eine "exzellente Darstellung der Luftlage" und müssten auch alle Frequenzen empfangen können - inklusive der genannten Notkanäle. Es scheine daher unmöglich, dass die russische Bodenkontrolle überhaupt keine Warnung von den Türken hören oder ihre Flugzeuge vor der Verletzung fremden Luftraums nicht warnen hätte können. Immerhin hatte es in den Wochen zuvor wiederholt Beschwerden der Türken wegen russischer Jets dicht an der Grenze gegeben.

Türkische F-16 auf der Basis Incirlik
Türkische F-16 auf der Basis IncirlikUS Air Force

Übrigens wiederholt der Jane's-Analyst auch zuletzt aufgekommene Theorien, wonach die türkische Luftwaffe der Fencer absichtlich eine Falle gestellt habe. Das Zeitfenster der Luftraumverletzung (etwa 17 Sekunden) in dem kleinen überflogenen Gebiet sei so schmal gewesen, dass "es sehr wahrscheinlich ist, dass die Türkei auf höchster Ebene im Voraus beschlossen hatte, einem russischen Flugzeug einen Hinterhalt zu legen.

Theorie von Hinterhalt

Der F-16-Pilot konnte die Fencer wahrscheinlich nur abfangen, weil er im Voraus ahnte oder wusste, wo sie fliegen würde. Nur dadurch konnte er seinen Angriff so timen, dass eine Luft-Luft-Rakete in dem kurzen Zeitraum das Ziel erfassen und bestenfalls noch über türkischem Gebiet treffen würde. Die Rakete hatte den Jet möglicherweise aber erst über syrischem Gebiet zerstört." Entsprechende Angaben zu Letzterem gab es tatsächlich später seitens des US-Militärs.

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