Wie Moskau Ankara für den Jet-Abschuss abstraft

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Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets erlässt Präsident Putin umfassende Wirtschaftssanktionen. Und Erdoğan hofft auf eine Aussprache in Paris.

Moskau/Ankara. „Maßnahmen, die Russlands nationale Sicherheit und den Schutz der russischen Bürger gegen kriminelle und illegale Akte sicherstellen sollen“: Hinter diesem sperrigen Titel verbergen sich ein Warenembargo, Einschränkungen für den Tourismus und die Rückkehr zur Visumpflicht. Mit einem drastischen Erlass und Wirtschaftssanktionen hat Russland die Türkei am Wochenende für den Abschuss seines Kampfjets am vergangenen Dienstag über dem syrischen Grenzgebiet abgestraft.

Seit dem Abschuss der Su-24 an der syrisch-türkischen Grenze haben sich die Spannungen zwischen dem Nato-Mitglied Türkei und Russland erheblich verschärft. Russlands Präsident, Wladimir Putin, hat eine Entschuldigung für den Abschuss gefordert, bei dem ein Pilot und ein Soldat, der als Teil einer Rettungsmission zur Hilfe gekommen ist, getötet wurden. Zudem bezichtigte Moskau Ankara, gemeinsame Sache mit der Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) zu machen.

Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, bedauerte mittlerweile den Vorfall, vermied aber die vom Kreml verlangte Entschuldigung. „Ich bin über den Zwischenfall wirklich betrübt“, sagte Erdoğan. „Wir wünschten, es wäre nie passiert.“

Ankara ließ den Leichnam des getöteten russischen Piloten in die Provinz Hatay in der Südtürkei bringen. Dort hat sie der russische Militärattaché in Empfang genommen. Der tote Pilot, Oleg Peskow, würde zunächst nach Ankara gebracht und zu einem späteren Zeitpunkt nach Russland überführt, berichtete die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti.

Hoffnung auf Treffen in Paris

Ankara versucht indes Schadensbegrenzung. Erdoğan drückte die Hoffnung aus, am Montag am Rand des Weltklimagipfels in Paris mit dem russischen Staatschef, Wladimir Putin, zusammentreffen zu können. „Konfrontation bringt niemandem Freude. Russland ist so wichtig für die Türkei, wie die Türkei wichtig für Russland ist“, erklärte der türkische Präsident. EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini hat erklärt, sie wolle auf Putin und Erdoğan einwirken; die bilaterale Kontroverse dürfe nicht den politischen Prozess in Syrien gefährden.

Noch wurden keine Details bekannt, ob Ankara seinerseits Vergeltungsschritte gegen Moskau unternehmen will. Fest steht aber: Würde die Türkei die Visafreiheit für Russen aufheben, schnitte man sich damit ins eigene Fleisch: Von Jänner bis Oktober 2015 besuchten laut der Statistik des türkischen Tourismusministeriums mehr als 3,5 Millionen russische Urlauber das Land. Sie machen damit mehr als zehn Prozent der internationalen Gäste aus und lagen an zweiter Stelle hinter den deutschen Urlaubern. Im Vergleichszeitraum in den Jahren 2014 und 2013 lag der Anteil der Russen gar bei 13 Prozent.

Liste verbotener türkischer Güter

Die Zahl der russischen Besucher dürfte aber auch ohne das Zutun Ankaras weiter sinken. Denn mit dem von Putin unterzeichneten Dekret tritt ein ganzes Bündel an Sanktionen in Kraft: Charterflüge zwischen Russland und der Türkei werden untersagt und Reiseveranstalter dürfen keine Türkei-Urlaube mehr anbieten. Die russischen Urlauber haben bisher vor allem Pauschalreisen in fremde Länder gebucht; nur wenige waren als Individualtouristen im Ausland unterwegs.

Außerdem wird es russischen Unternehmen künftig verboten, Türken einzustellen. Mehr als 67.000 Türken arbeiten nach Behördenangaben derzeit in Russland. Die meisten von ihnen verdienen auf Baustellen ihr Geld. Auch sollen türkische Schiffe und Lkw schärfer überprüft werden. Darüber hinaus dürfen bestimmte Güter aus der Türkei nicht mehr importiert werden. Eine entsprechende Liste wurde noch nicht veröffentlicht. Schon am Freitag hatte der russische Außenminister, Sergej Lawrow, die Wiedereinführung der Visumpflicht für Türken ab 1. Jänner angekündigt. Dmitrij Peskow, der Sprecher Putins, bekräftigte die Position Russlands: Das Vorgehen der türkischen Luftwaffe sei „absoluter Wahnsinn“ gewesen, und das Verhalten der Regierung in Ankara erinnere an ein „absurdes Theater“. „Niemand hat das Recht, verräterisch ein russisches Flugzeug von hinten abzuschießen.“ Die russische Reaktion entspreche der aktuellen Bedrohung.

Indes ist offenbar erneut ein russisches Militärflugzeug in fremden Luftraum eingedrungen. Das israelische Verteidigungsministers gab gestern bekannt, dass ein Jet unlängst aus Syrien kommend kurz den von Israel beanspruchten Luftraum über den Golanhöhen durchflogen hat. „Eine russische Maschine war eine Meile weit in unseren Luftraum eingedrungen, aber alles konnte sofort geregelt werden, und das Flugzeug drehte in Richtung Syrien ab“, sagte Moshe Yaalon am Sonntag im staatlichen Radio. Offensichtlich handelte es sich um einen Navigationsfehler des Piloten. (Reuters/APA/DPA/som)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2015)

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