„Döner ist ungesund“: Wie Russland gegen Türkei Stimmung macht

FRANCE COP21
FRANCE COP21(c) APA/EPA/YOAN VALAT (YOAN VALAT)
  • Drucken

Präsident Putin verweigert Erdoğan in Paris eine Aussprache und forciert ein Embargo. Ultranationalisten beschwören die historische Erzfeindschaft.

Moskau/Wien. Die Kriege der Vergangenheit zwischen Russen und Türken erleben dieser Tage eine sonderbare Renaissance im russischen Internet. Der Kampf um die Vorherrschaft in der Schwarzmeerregion zwischen Zarenhaus und Osmanen im 18. und 19. Jahrhundert ist plötzlich Thema, ein Kreml-naher Politologe teilt das Lied „Nach Osten“ aus dem Historienkrimi „Türkisches Gambit“: „Und wieder ziehen Petersburg und Stambul in den Krieg“. Während Bildungsbürger an die Reiterschlachten zwischen den grausamen Schlächtern des Sultans und den rechtschaffenen Soldaten des Zaren denken, bringt Wladimir Schirinowskij den Gegenstand für das Volk auf den Punkt: Die Türkei, sagte er vor ein paar Tagen, sei Russlands „Feind Nummer eins“. Auch in der Ernährung: Schaurma, wie Döner Kebab in Russland nach arabischem Vorbild genannt wird, sei „äußerst ungesund für den Organismus“, erklärte Schirinowskijs Parteifreund Sergej Furgal. Dass ohne die türkische Küche (wie auch die eng verwandten tatarischen und zentralasiatischen Gerichte) der Speiseplan der Russen ziemlich eintönig aussehen würde, ist dieser Tage ebenso zweitrangig. Furgal rät zum Boykott türkischer Restaurants.

„Putin konnte nicht anders“

Russlands Präsident Putin hat den türkischen Abschuss des russischen Kampfjets von vergangener Woche als Bedrohung der nationalen Sicherheit klassifiziert und mit einem Handelsembargo, dem Ende der Visumfreiheit für Türken ab 2016 und Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt geantwortet. Die in der aktuellen Debatte hervorgekramten Stereotypen sind wie ein gesellschaftliches Echo auf die Politik des Kreml.

Dmitrij Kiseljow, der allwöchentlich in seiner Sendung „Die Nachrichten der Woche“ dem Publikum des Staatsfernsehens die Entscheidungen Putins in verständliche Sprache übersetzt, stellt das so dar: „Putin konnte nicht anders“, da Erdoğan die verlangte Entschuldigung verweigere. Der Konkurrenzkampf zwischen Ankara und Moskau, wer in der uneinigen Anti-IS-Koalition den Ton angibt, wer welche Akteure unterstützt und Ziele bombardieren darf, wird für die russische Öffentlichkeit zum Lehrsatz destilliert: „So nicht mit uns.“

Der türkische Premier, Ahmet Davutoğlu, warf dem Kreml vor, Maßnahmen zu ergreifen, die dieser selbst in der Ukraine-Krise kritisiert habe. „In der Vergangenheit waren wir alle beide gegen Wirtschaftssanktionen“, sagte er unter Verweis darauf, dass sich die Türkei nicht an den westlichen Strafmaßnahmen gegen Russland beteiligt hatte. Antwort bekam er keine – und auch das von Erdoğan vorgeschlagene Treffen am Rande des Weltklimagipfels in Paris schlug der Kreml-Chef aus. Es passt nicht in seine Dramaturgie einer kompromisslosen Diplomatie, die Wirtschaft und kulturelle Beziehungen ganz der Staatsräson unterordnet.

Aber wie hart werden die Sanktionen Russlands Wirtschaft wirklich treffen? Auf der Liste der verbotenen Produkte des Handelsministeriums sollen sich dem Vernehmen nach Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte, Milchprodukte, Nüsse, Beeren, Obst und Gemüse befinden, sowie Textilien. Das Einfuhrverbot wird erst in einigen Wochen in Kraft treten: Vor den Feiertagen sollen die Konsumenten keine Engpässe spüren. Russland wird sich ersatzweise bei anderen Produzenten umsehen: in China um Textilien, bei Lebensmitteln in Weißrussland, Zentralasien und Ägypten. Durch die EU-Gegensanktionen hat man bereits Erfahrung im Improvisieren gesammelt; auch psychologisch dürfte die zweite Welle der Selbstbeschränkung nicht mehr so schlimm sein: Schließlich dient sie, so das Argument, der Stärkung des Staates, also einem größeren Zweck. Was den Pauschalurlaubern in der Türkei künftig entgeht, wird man wohl als „patriotische Ferien“ auf die annektierte Krim umleiten. „Es gibt wichtigere Dinge als Strände und Sonne“, erklärte Kiseljow.

Training in Israel statt in der Türkei

Sogar für den Fußball hat das Sanktionenthema Folgen: Der russische Sportminister, Witali Mutko, habe russischen Vereinen die Verpflichtung türkischer Spieler auf Grundlage der Sanktionen vorläufig verboten, berichtete die Moskauer Zeitung „Sport Express“ gestern. Mehrere Vereine hätten geplante Trainingslager in der Türkei abgesagt. Auch da soll bereits Ersatz gefunden worden sein: in Israel.

AUF EINEN BLICK

Eine Woche nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei bleiben die Fronten zwischen den einstigen Partnern Moskau und Ankara verhärtet. Der russische Präsident, Wladimir Putin, verweigerte am Montag ein von seinem türkischen Kollegen, Recep Tayyip Erdoğan, erbetenes Gespräch. Erdoğan wiederum will sich nicht für den Abschuss entschuldigen, da die Türkei lediglich ihren Luftraum geschützt habe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Putin tritt vor die Presse.
Außenpolitik

Putin sieht keinen Raum für Versöhnung mit Erdogan

Bei seiner großen Jahresabschlusskonferenz fand der russische Präsident deutliche Worte zur Türkei und zur Ukraine. Die Wirtschaft seines Landes sieht er im Aufwind.
Da war noch alles in Ordnung: Putin und Erdogan beim G-20 Gipfel im November.
Außenpolitik

Spitzentreffen von Putin und Erdogan abgesagt

Der Streit zwischen Moskau und Ankara geht weiter. Ein weiterer Konfliktfall zwischen einem türkischen und russischen Schiff wurde bekannt.
Zerstörer "Smetlivy"
Außenpolitik

Russischer Zerstörer setzt Warnschüsse in der Ägäis

Bei dem Zwischenfall im Ägäischen Meer hat ein russisches Kriegsschiff ein türkisches Fischerboot mit Schüssen zum Abdrehen gezwungen.
Kasachstans Außenminister, Jerlan Idrissow
Außenpolitik

Jerlan Idrissow: "Wir sind grundsätzlich gegen Sanktionen"

Kasachstan ist mit Moskau befreundet und mit der Türkei verwandt. Wie es deren Konflikt und die Causa Alijew sieht, erklärt Außenminister Jerlan Idrissow.
Der Flugschreiber der abgeschossenen Su-24.
Außenpolitik

Syrien übergibt Blackbox von abgeschossenem Kampfjet

Die Analyse des Flugschreibers soll Aufschlüsse über den Absturz der russischen Maschine liefern - und bietet Zündstoff für die Auseinandersetzung wischen Moskau und Ankara.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.