Wie der Erdölhandel des IS funktioniert

In einer provisorisch eingerichteten Raffinerie nahe Raqqa. Der sogenannte Islamische Staat nimmt durch Ölschmuggel gewaltige Summen ein.
In einer provisorisch eingerichteten Raffinerie nahe Raqqa. Der sogenannte Islamische Staat nimmt durch Ölschmuggel gewaltige Summen ein.(c) REUTERS (HAMID KHATIB)
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Russland wirft der Türkei vor, in den Ölhandel des IS verstrickt zu sein. Ankara weist das erbost zurück. Doch die Türkei ist tatsächlich ein Transitland.

Kairo. Sogar Barack Obama sah sich am Dienstag gezwungen, die beiden Rivalen Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan öffentlich zu ermahnen. „Wir haben alle einen gemeinsamen Feind. Das ist der IS. Und ich will sicher sein, dass wir uns auf diese Bedrohung konzentrieren“, erklärte der US-Präsident nach einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten in Paris. Seit dem Abschuss eines russischen Bombers durch türkische F-16-Jets fliegen zwischen Putin und Erdoğan die Fetzen. Vorläufiger Höhepunkt in diesem Krieg der Worte ist der Vorwurf des Kremlchefs, Erdoğan gehe es bei dem Abschuss nur darum, den lukrativen Rohölhandel zwischen dem sogenannten Islamischen Staat (IS) und der Türkei zu schützen. Damit rückt Moskau einmal mehr die zwielichtige Rolle Ankaras im Umgang mit dem IS ins Rampenlicht. Entsprechend gereizt reagierte Erdoğan. Er werde zurücktreten, sollten seinem Land solche Ölgeschäfte nachgewiesen werden können, erklärte er.

Die Komplizenschaft der Türkei mit dem IS hat zahlreiche Facetten. Unter anderem kontrollieren die Jihadisten zwischen Jarabulus und Kilis einen fast 100 Kilometer langen Grenzstreifen zu dem Nato-Mitgliedstaat, über den der Schmuggel mit Waffen, Geld, Antiquitäten und Lebensmitteln abgewickelt wird und neuen IS-Rekruten in das Kernland des IS-„Kalifats“ eingeschleust werden. Seit Juli schwört Ankara, endlich diese heikle Grenzregion mit ihren beiden Orten Cobanbey und Jarabulus abzuriegeln. Doch nichts geschieht und der internationale Unmut wächst. „Seit Paris hat sich das Spiel geändert. Das Maß ist voll, die Grenze muss geschlossen werden“, zitierte das „Wall Street Journal“ einen hohen Mitarbeiter aus dem Weißen Haus. „Das ist eine internationale Bedrohung, das alles kommt aus Syrien und geht über türkisches Territorium.“

Man brauche keinen Rat von außen, auch nicht von „unseren amerikanischen Partnern“, retournierte die Türkei. Erdoğan hat in Syrien vor allem zwei Gegner im Visier: das Regime in Damaskus mit Bashar al-Assad an der Spitze sowie die Kurden mit ihren Autonomieabsichten. Formal trat seine Luftwaffe zwar der westlich-arabischen Allianz gegen den IS bei, attackiert aber fast nur Stellungen der PKK und YPG im Nordirak und in Nordsyrien. Damit aber schwächt Ankara ausgerechnet die Einheiten, die der Terrormiliz als einzige in der Region bezüglich Kampfgeist, Disziplin und Strategie gewachsen sind.

Durch Putins Auftreten in den Fokus gerückt ist aber vor allem der IS-Rohölschmuggel mithilfe türkischer, irakischer und kurdischer Mafiabanden. In Hunderten von Tankwagen gelangt das schwarze Gold des IS zunächst nach Zakho ins irakische Kurdistan, wo die heiße Ware versteigert und mit offiziellen Papieren versehen wird. Danach übernehmen türkische Spediteure die Fracht und bringen sie – zusammen mit dem kurdisch-nordirakischen Exportöl – zu den Hafenterminals von Mersin, Dortyol und Ceyhan. Andere Teile der IS-Produktion werden offenbar nach wie vor an Syriens Regime verkauft oder für den Eigenverbrauch im IS-„Kalifat“ raffiniert.

Trotz Dumpingpreisen brachte der Rohölexport der Terrormiliz seit Anfang 2015 rund 500 Millionen Dollar ein, schätzt das US-Finanzministerium. Zudem betreiben die Jihadisten Kidnapping und Schutzgelderpressung im großen Maßstab. Transportunternehmen müssen Wegzölle entrichten, die zehn Millionen Untertanen zahlen Steuern.

Reparaturen durch externe Experten

Nach einer Studie der amerikanischen Rand-Stiftung fließen durch Erpressung und Steuern 400 Millionen Dollar pro Jahr in die IS-Kassen. Dreistellige Millionenbeträge kommen durch den Schmuggel mit geraubten Antiquitäten hinzu. Washington kalkuliert die illegale Ölproduktion auf 40.000 bis 50.000 Barrel pro Tag, andere Experten sehen sie eher bei 20.000 und 30.000 Barrel. Neun Stunden dauern die Schichten auf den rund 160 IS-Ölquellen. Die meisten Facharbeiter und Ingenieure wurden von der Terrormiliz weiterbeschäftigt. Aufwendigere Reparaturen erledigen von außen angeheuerte Experten zu exorbitanten Stundenlöhnen. Die mehr als 6000 alliierten Luftangriffe haben das Geschäft nicht zum Erliegen gebracht, auch weil die US-Piloten bisher Opfer unter den zivilen Tankwagenfahrern vermeiden wollten. Doch mit solcher Rücksichtnahme ist es seit Paris vorbei. Rund 300 Tanklaster wurden aus der Luft zerstört. 45 Minuten vor den Raketen regneten Flugblätter mit Warnungen auf die Konvois herunter: „Sofort raus aus euren Lastwagen! Lauft weg!“

AUF EINEN BLICK

Der Handel mit Erdöl zählt zu den wichtigsten Einnahmequellen des sogenannten Islamischen Staates (IS). Das Öl wird aus dem Territorium der Terrormiliz in Syrien und im Irak offenbar über die Türkei weiter ins Ausland geschmuggelt. Auch irakische und kurdische Mafiabanden sollen in die dubiosen Geschäfte verstrickt sein. Seit den Anschlägen in Paris hat die internationale Koalition gegen den IS die Luftangriffe auf die Ölindustrie der Jihadisten verstärkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2015)

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