Flüchtlingskrise: Nimmt die EU der Türkei Syrer ab?

Hungary´s Prime Minister Viktor Orban looks on after delivering his speech during the European People´s Party (EPP) congress in Madrid
Hungary´s Prime Minister Viktor Orban looks on after delivering his speech during the European People´s Party (EPP) congress in Madrid(c) REUTERS (JUAN MEDINA)
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Ungarns Premier, Viktor Orbán, spricht von Umsiedlung von 400.000 Flüchtlingen aus der Türkei. Ankara erwartet von EU Entgegenkommen.

Brüssel. Seit dem EU/Türkei-Gipfel am vergangenen Sonntag wird in Brüssel darüber spekuliert, wie weit die EU Ankara entgegenkommen muss, damit die Türkei den Strom der Flüchtlinge nach Griechenland unterbindet. Am gestrigen Mittwoch heizte Viktor Orbán diese Debatte erneut an: Der ungarische Regierungschef raunte am Rand einer Veranstaltung in Budapest, das Angebot einer Umsiedlung von 400.000 syrischen Flüchtlingen aus der Türkei nach Europa könnte noch diese Woche in Berlin verkündet werden; Ähnliches hatte am Wochenende die „FAZ“ berichtet. Und in der Tat ist es erklärter Wille von Angela Merkel, „einen Teil der illegalen Migration durch legale zu ersetzen“, wie es die Bundeskanzlerin am Sonntag formuliert hat.

Merkel hatte sich vor dem Türkei-Gipfel mit sechs Gleichgesinnten – den Regierungschefs Belgiens, der Niederlande, Luxemburgs, Österreichs, Schwedens und Finnlands – sowie mit Griechenland getroffen, dem Vernehmen nach ging es bei dem Minigipfel auch um legales Resettlement, allerdings ohne konkrete Zahlen zu nennen. Die Brüsseler Behörde wies Orbáns Äußerungen gestern jedenfalls zurück, von „einem Blödsinn“ sprach EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans. Klar ist allerdings, dass das Thema beim kommenden EU-Gipfel am 17. Dezember ganz oben auf der Agenda sein wird.

Slowakei klagt vor dem EuGH

Dass Ankara von Europa substanzielles Entgegenkommen verlangt, steht ebenso außer Frage, schließlich stecken geschätzte zwei Millionen Syrer in der Türkei fest. Fraglich ist allerdings, wie eine Entscheidung über die Aufnahme von hunderttausenden Schutzbedürftigen ohne Eklat über die Bühne gehen soll. Denn schon das bisher vereinbarte Kontingent – die Verteilung von 160.000 in Griechenland und Italien gestrandeten Flüchtlingen – sorgt unter den EU-Mitgliedstaaten bekanntlich für heftigen Streit. Gestern, Mittwoch, reichte die Slowakei dagegen eine Klage beim EuGH ein. Premier Robert Fico hält die Pflichtquoten für „unsinnig und technisch nicht realisierbar“. Die Mehrheitsentscheidung der Innenminister zur Umsiedlung war gegen den Willen mehrerer osteuropäischer EU-Länder gefallen – und steht laut Fico im Widerspruch zu einem vorangegangenen Beschluss der Staats- und Regierungschefs, der Pflichtquoten ausschließt.

Neben der Slowakei und Ungarn, das ebenfalls rechtliche Schritte angekündigt hat, sind auch Polen, Tschechien und Rumänien dezidierte Gegner eines fixen Verteilungsschlüssels. Und worüber sich in Brüssel momentan niemand zu sprechen traut: Angesichts der Tatsache, dass in Frankreich laut Umfragen die Mehrheit der Bevölkerung die Aufnahme von Flüchtlingen ablehnt, ist auch die Beteiligung von Paris unsicher. Doch ohne Frankreich ist jeder Versuch, die Gegner der Umsiedlung zum Mitmachen zu zwingen, zum Scheitern verurteilt – weshalb zuletzt spekuliert wurde, dass die Syrer aus der Türkei von einer „Koalition der Willigen“ untergebracht werden könnten. Wobei der Wille, bei der Bekämpfung der Flüchtlingskrise anzupacken, europaweit zusehends zur Mangelware wird.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2015)

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