Botschaft an Schüler: Der heikle Brief aus Teheran

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In einem Schreiben an Österreichs Jugendliche verurteilt Irans Revolutionsführer Khamenei den Terror von Paris. Zugleich zieht er gegen Israel vom Leder.

Wien. Es kommt nicht jeden Tag vor, dass der oberste geistliche Führer des Iran, Ajatollah Seyyed Ali Khamenei, den österreichischen Jugendlichen einen Brief schreibt. Nun hat er es aber getan – wegen der Terroranschläge in Paris, wie es seitens der Iraner heißt. Gerichtet ist das Schreiben an „alle jungen Menschen in den westlichen Staaten“. Es sei eine Botschaft der Freundschaft – und eine Reaktion auf den Vorschlag des österreichischen Außenministers auf seiner Reise in den Iran, eine gemeinsame Allianz im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) zu schmieden, heißt es dazu in der iranischen Botschaft in Wien zur „Presse“.

Der IS, der massenhaft Schiiten als angeblich „Ungläubige“ ermordet, zählt auch zu den Hauptfeinden des Regimes in Teheran, das von der schiitischen Geistlichkeit des Iran kontrolliert wird. Und so verurteilt Khamenei in seinem Schreiben auch deutlich die jüngsten Terroranschläge in der französischen Hauptstadt. „Ein Kind, das vor den Augen seiner Lieben stirbt, eine Mutter, deren Familie plötzlich in Trauer versinkt, [. . .], – das sind alles Szenen, von denen der Mensch innerlich berührt wird“, steht in dem Brief, der der „Presse“ vorliegt. Und weiter: „Wer nur ein wenig Liebe und Menschlichkeit besitzt, den schmerzen solche Szenen, ob sie sich in Frankreich oder Palästina, Syrien, im Irak oder Libanon abspielen. Anderthalb Milliarden Muslime hegen mit Gewissheit ein solches Gefühl und verabscheuen die Urheber dieser Tragödien.“

Doch zugleich nützt Khamenei sein Schreiben auch, um gegen die US-Politik und vor allem gegen Irans Hassobjekt Nummer eins, gegen Israel, vom Leder zu ziehen: Die Widersprüchlichkeit der westlichen Politik zeige sich auch in der „Unterstützung für den Staatsterrorismus Israel“. „Das unterdrückte palästinensische Volk erlebt seit mehr als 60 Jahren die schlimmste Art von Terrorismus. Die Bürger in Europa suchen zurzeit für einige Tage in ihren Häusern Schutz und meiden Versammlungen und überfüllte Plätze. Aber eine Palästinenserfamilie ist seit Jahrzehnten noch nicht einmal im eigenen Haus vor der Tötungs- und Zerstörungsmaschinerie des zionistischen Regimes sicher. Gibt es heute eine Gewalttat, die sich hinsichtlich ihrer Kaltblütigkeit mit dem Siedlungsbau des zionistischen Regimes vergleichen ließe?“

Die iranische Nachrichtenagentur Irna hatte zunächst berichtet, dass die Kulturabteilung der iranischen Botschaft in Wien den Brief des Revolutionsführers direkt Österreichs Schulen verschicken wolle.

Walser kritisiert Antisemitismus

Später versuchte man offenbar zurückzurudern: Das sei ein Missverständnis, gab die iranische Botschaft auf Anfrage der „Presse“ bekannt. Das „an die jungen Menschen“ gerichtete Schreiben werde nur an österreichische Ministerien und Journalisten gesandt, nicht jedoch direkt an die Schulen. „Das Unterrichtsministerium und das Außenministerium sind gefordert, dass das auf keinen Fall an die Schulen gelangt“, verlangt der grüne Nationalratsabgeordnete und Bildungssprecher Harald Walser im Gespräch mit der „Presse“. Er war als einer der Ersten auf den Brief Khameneis und die iranische Meldung gestoßen, dass der Text den österreichischen Schülern übermittelt werden solle.

Das Schreiben des iranischen Revolutionsführers sei zu Beginn zwar im Jargon des Friedens und des Bedauerns wegen der Paris-Attentate gehalten, meint Walser. Sehr bald werde aber die eigentliche Agenda deutlich: antisemitische Verschwörungstheorien und antiisraelische Hetze.

„Moralische Zügellosigkeit“ des Westens

Zudem ortet der grüne Bildungssprecher „antiwestliche Hetze“ in dem Brief. Etwa in der Passage, in der es heißt, dass „Aggressivität und moralische Zügellosigkeit“ zu den „Hauptmerkmalen der westlichen Kultur“ geworden sind.

Walser fordert Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz, auf, den Fall gegenüber Teheran aufs Tapet zu bringen. „Der Außenminister muss mit den Iranern Kontakt aufnehmen und seine Sicht der Dinge darlegen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2015)

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