Die schöne Bescherung des Herrn Maduro

Venezuela's President Nicolas Maduro gustures during the last campaign rally with pro-government candidates for the upcoming parliamentary elections, in Caracas
Venezuela's President Nicolas Maduro gustures during the last campaign rally with pro-government candidates for the upcoming parliamentary elections, in CaracasREUTERS
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Venezuela wählt heute ein neues Parlament. Präsident Nicolás Maduro hat das Volk mit großzügigen Geschenken auf die Regierungspartei eingestimmt. Doch diese muss mehr als je zuvor um ihre Macht fürchten.

Alle zwei bis drei Jahre wieder wird Nicolás Maduro zum Nikolaus. Im November 2013 befahl er, dass Venezuelas Elektrohändler ihre Ware an die Bürger quasi verschenken. Nun teilt er gar selbst aus: Eine Million Tablets will der Staatschef unter sein Volk bringen, kostenlos. Die ersten hat er vor laufenden TV-Kameras bereits vergeben.

In Venezuela ist es Brauch, dass Wahlen vor dem Weihnachtsfest stattfinden. Und dass die Bescherung noch vor dem Schmücken der Bäume erfolgt. Dieses Jahr verteilte der Staatschef Stipendien, Schweinestelzen für den Festtagsbraten und tausende Taxis aus chinesisch-venezolanischer Koproduktion, weiß lackiert und fabrikneu. „Alle werden mit Schlüsseln und Fahrzeugpapieren übergeben. Und umsonst. Ich verschenke sie“, verkündete Maduro zehn Tage vor der Wahl am 6. Dezember.

Dass Venezuelas Wahlrecht es dem Staatsoberhaupt ausdrücklich verbietet, sich in den Wahlkampf um die 167 Sitze der Ein-Kammer-Nationalversammlung einzuschalten, stört höchstens die Opposition. Aber die bekommt sowieso keine Sendezeit mehr. Maduro ist dagegen dauernd im Äther. „Der Präsident wird doch noch seine Meinung sagen dürfen“, rechtfertigt Jorge Rodríguez. Er organisiert für die chavistische PSUV die Kampagne, die, so Maduro ebenfalls via Live-TV, gewonnen werden muss, „koste es, was es wolle“.

Seit 1998 haben die Parteigänger des Hugo Chávez fast sämtliche Wahlen gewonnen, aber dieses Mal steht die bolivarische Bewegung so wackelig da wie noch nie. Der Ölpreisverfall hat die seit Jahren virulenten Übel vervielfacht. Die Inflation ist mit inzwischen 190 Prozent die höchste der Welt, Devisen kosten auf dem Schwarzmarkt mehr als das 100-Fache des offiziellen Kurses. Die Wirtschaft des Landes mit den größten Erdölreserven der Welt schrumpft heuer um acht Prozent. Bürger, die Milch, Mehl und Klopapier ergattern möchten, verbringen einen Gutteil ihrer Zeit in Warteschlangen. Und Venezuela registriert, gemessen an der Einwohnerzahl, die zweithöchste Mordrate der Welt – 18-mal höher als in den USA.

Nicolás Maduro ist – anders als sein Mentor und Vorgänger Chávez – kein großer Redner und schon gar kein charismatischer Führer, auch darum liegt seine Bewegung in den meisten Umfragen bei nur einem Drittel der Zustimmung. Die anderen zwei Drittel vereint das Oppositionsbündnis Mesa de Unidad Democrática.

Dessen Parteikürzel lautet MUD. Nun findet sich eine Gruppierung namens MIN, auf den Wahllisten platziert gleich neben der MUD – mit einem Logo in ähnlich blaugrüner Farbe und dem ebenso hervorgehobenen Wort „Unidad“: Offenbar ein vom nationalen Wahlrat unbeanstandeter Versuch, leseschwache Oppositionswähler zu täuschen. Denn die MIN-Kandidaten sind Kader der Chávez-Partei.


Wahlkreis-Tricksereien. Der Wahlrat CNE, seit Jahren präsidiert von der Chavistin Tibisay Lucena, hat, wie schon vor fünf Jahren, die Stimmkreise so gestaltet, dass die Regierungspartei klar bevorzugt wird. So werden im von der Opposition regierten Staat Miranda nur zwölf der 167 Mandate verteilt, obwohl in der industriereichen Region 17 Prozent der Wähler wohnen. Dagegen entscheiden im Urwaldstaat Delta Amacuro nicht mehr als zwei Prozent der gesamten Wählerschaft über vier Parlamentssitze. Schon 2010 errang die Opposition mehr Stimmen, doch im Parlament hatten die Chavistas zuletzt eine Drei-Fünftel-Mehrheit, die für die meisten Beschlüsse nötig ist. Weil die Wahlkreise so ungleich sind, braucht die Opposition nach Berechnungen mehrerer Umfrageinstitute zwischen sieben und 13 Prozent Vorsprung, um jene 84 Sitze zu erringen, die eine einfache Mehrheit bedeuten.

Diese würde zwar nicht reichen, um die Ausübung der Herrschaft Maduros zu schwächen, doch ärgern könnte eine von Regierungsgegnern dominierte Nationalversammlung den Präsidenten durchaus. Mit einfacher Mehrheit könnte der „Tisch der Einheit“ erstmals das Parlamentspräsidium übernehmen, das bisher der Hardliner Diosdado Cabello, einst Putschgefährte von Hugo Chávez, innehat. Außerdem kann das Parlament mit Überzahl Amnestien für Häftlinge aussprechen, worauf vor allem die inhaftierten Oppositionspolitiker warten.

Für eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die Maduro tatsächlich ausbremsen könnte, wird es aber wohl nicht reichen, auch weil der Präsident – wieder via TV – klarmachte, dass er am Nikolaustag auch den Krampus verkörpern könnte. „Wir werden die Revolution nicht hergeben“, dröhnte der Hüne in seinem Bassbariton. „Wir könnten mit dem Volk in einer zivil-militärischen Union regieren.“ Um dieser Drohung ein staatsbürgerliches Gewicht zu geben, setzte er nach: „Aber immer mit der Verfassung in Händen.“ Allerdings: In der Verfassung der fünften Republik steht kein Abschnitt über eine zivil-militärische Union. Zum Schluss setzte er einen drauf: „Wenn die Revolution scheitert, dann gibt es ein Massaker.“

An Verbalinjurien aus Caracas hat sich Lateinamerika seit Jahren gewöhnt. Hugo Chávez dürfte seinen Gegenkandidaten Capriles als „Schwein“, „Hänfling“ oder „das Nichts“ titulieren, ohne dass die Compañeros von Correa bis Kirchner darob errötet wären. Doch die Drohung mit einem Militäreinsatz weckte nun doch einige auf. Luis Almagro, der Vorsitzende der Organisation Amerikanischer Staaten, hat in einem 18-seitigen offenen Brief an die Chefin des Wahlrates viele Unregelmäßigkeiten aufgelistet. „Es ist bestürzend, dass alle Defizite zulasten der Opposition gehen“, schrieb Almagro und richtete sich direkt an die Wahlleiterin: „Sie sind verantwortlich für die Wahlgerichtsbarkeit.“ Nicolás Maduro nannte Almagro – auch das live im TV – „basura“, auf Deutsch „Müll“.

Nun gibt es erstmals Anzeichen, dass derartige Ungezogenheiten selbst den Amigos missfallen. Oppositionsführer Henrique Capriles will erfahren haben, dass Maduro einen scharf formulierten Brief aus Brasilia empfangen habe. Der große Nachbar hat mächtig im Ölstaat investiert, darum verkniffen sich Lula und Dilma Rousseff bisher öffentliche Kritik. Diese kommt nun aus Buenos Aires. Argentiniens neuer Präsident, Mauricio Macri, will Venezuela bei der Vollversammlung des Mercosur zeitweilig aus dem Wirtschaftsbund suspendieren. „Lateinamerika hat die Nase voll von sektiererischen Regierungen“, hofft Henrique Capriles.


Wege aus der Niederlage. Mosés Naím, einst Venezuelas Entwicklungsminister, danach 14 Jahre lang Chef der elitären US-Zeitschrift „Foreign Policy“, glaubt, dass Maduro trotz allen verbalen Donnergrollens letztlich eine Niederlage annehmen würde: „Das legitimiert ihn vor der Welt und lindert den internationalen Druck auf sein Land. Und seine Alliierten werden erklären: ,Wieder einmal zeigt sich, dass es in Venezuela eine Demokratie gibt.‘“ Danach werde Maduro dem Parlament Macht entziehen und vor allem Budget. Das habe bereits Hugo Chávez vorexerziert, nachdem Antonio Ledezma 2008 erst die Bürgermeisterwahl in Caracas gewann und dann kein Steuergeld bekam. Heute ist Ledezma einer der politischen Gefangenen Venezuelas.

Denkbar wäre auch, dass Maduro im Falle einer Niederlage die scheidende Nationalversammlung um Sondervollmachten bittet, die ihm eine Herrschaft per Dekret erlauben würde. Das hat Hugo Chávez die meiste Zeit seiner Herrschaft praktiziert. Um ein Ermächtigungsgesetz zu erlassen, muss Maduro einen „nationalen Notstand“ ausrufen. Angesichts des Zustands Venezuelas dürfte das einfacher sein als das Bezahlen der Wahlgeschenke.

Fakten

30Millionen.
Das ist die Bevölkerungszahl

Venezuelas. Zum ersten Mal seit 16 Jahren könnte es in dem Land zu einem Machtwechsel kommen.

190Prozent.
So viel beträgt die Inflation – inzwischen die höchste weltweit. Venezuela hat laut Opec die größten Erdölreserven der Welt – die Wirtschaft schrumpft heuer trotzdem um acht Prozent.

167Sitze.
So viele Abgeordnetenmandate umfasst die Nationalversammlung in Caracas. Da die Wahlkreise so ungleich sind, braucht die Opposition zwischen sieben und 13 Prozent Vorsprung, um eine einfache Mehrheit zu erringen, sprich: 84 Sitze.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2015)

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