Barack Obama: „Wir lassen uns nicht terrorisieren“

USA OBAMA NDAA
USA OBAMA NDAAAPA/EPA/JIM LO SCALZO
  • Drucken

Nach dem Massaker von San Bernardino will Präsident Barack Obama eine neue Phase im Antiterrorkampf einläuten.

Wien/Washington. Auf dem Dach des Weißen Hauses im vorweihnachtlich dekorierten Washington wehte das Sternenbanner auf Halbmast, und drinnen, hinter einem Stehpult vor seinem Schreibtisch im Oval Office, wandte sich der Präsident in der Nacht auf Montag in einer TV-Rede an eine verunsicherte und von Terrorangst gezeichnete Nation. Den Grundtenor ließ Barack Obama zuvor bereits in seiner wöchentlichen Radioansprache anklingen, als er die Werte der US-Demokratie beschwor: „Wir sind stark und widerstandsfähig, wir lassen uns nicht terrorisieren.“

In seiner TV-Rede an die Lage der Nation, seiner erst dritten aus dem Oval Office während seiner Amtszeit, präsentierte Obama den Stand der Ermittlungen im Terrorakt von San Bernardino, beschrieb das Phänomen der Radikalisierung sogenannter Sleeper und ihre Gefahr für die nationale Sicherheit, postulierte die Ausweitung des Kampfs gegen die IS-Terrormilizen – und plädierte neuerlich für eine Verschärfung des Waffenrechts im eigenen Land. Er stimmte die USA auf weitere Sicherheitsvorkehrungen im Flugverkehr und beim Visaprogramm ein und zugleich appellierte er, die muslimischen Verbände in den USA, im Allgemeinen weitaus besser integriert und assimiliert als in Europa, noch stärker in die Jagd nach losen Terrorzellen einzubinden. Das Ehepaar Syed Farook und Tashfeen Malik war vor dem Anschlag in San Bernardino nicht auf dem Radar der US-Sicherheitsdienste aufgetaucht.

Vor mehr als einer Woche, am Vorabend des Thanksgiving-Feiertags und nach der Terrorserie von Paris, hatte der Präsident seine Landsleute noch kalmiert. Es bestehe keine spezifische und akute Terrorgefahr, ließ er die US-Amerikaner wissen. Nun war er unter Druck von rechts geraten. Das Massaker von San Bernardino mit 14 Todesopfern, die Vorwürfe der Opposition und die zum Teil hysterische Debatte im sich zuspitzenden Wahlkampf haben sein Sonntagabendprogramm umgeschmissen. Eigentlich wollte Obama bei einer Gala im Kennedy-Center Künstler wie die Sängerin Carole King, den Regisseur George Lucas und den Dirigenten Seji Ozawa mit den höchsten Ehren auszeichnen, die das Land zu vergeben hat - und nach seiner Rede ließ er sich auch nicht davon abhalten, der Zeremonie beizuwohnen.

Antiislamische Ressentiments

Stattdessen versuchte er, den Republikanern Paroli zu bieten, antiislamischen Ressentiments und den schrillen Tönen entgegenzutreten. Die Präsidentschaftskandidaten der Grand Old Party zielen neuerdings auf die vermeintlich schwache Flanke Obamas – die Außenpolitik im Generellen und den Kampf gegen den Terror im Speziellen. Die nationale Sicherheit ist seit jeher ein Trumpf der Konservativen der USA.

Denn sieben Wochen vor der ersten Vorwahl in Iowa hat der Vorwahlkampf vor allem im republikanischen Lager durch den Anschlag in Südkalifornien eine völlig neue Dynamik gewonnen. Wer sich als größter Demagoge hervortut, dem fliegen die Herzen der strammen Stammwähler zu. Dies hat der seit Monaten anhaltende Höhenflug des Immobilientycoons Donald Trump, eines grandiosen Simplifikateurs, eindrucksvoll vorexerziert. Mit seinen rassistischen Parolen gegen Immigranten, der Forderung nach einer Fertigstellung des Grenzzauns zu Mexiko und seiner jüngsten Behauptung, tausende Muslime in New Jersey hätten die 9/11-Attentate bejubelt, treibt er seine Konkurrenten vor sich her. Republikanische Gouverneure sprachen sich resolut gegen eine Aufnahme einer ohnedies marginalen Zahl syrischer Flüchtlinge aus, und der Kandidat Ben Carson apostrophierte sie gar als „tollwütige Hunde“. Allenfalls syrische Christen wären im Land willkommen, lautet der Konsens unter den republikanischen Kandidaten. Ansatzweise kommt in den USA eine islamophobe Stimmung auf, wie sie nicht einmal zu Zeiten des 9/11-Terrors existierte, als just George W. Bush als moderater Mahner auftrat.

Demonstrativ besuchten Ted Cruz, einer der führenden republikanischen Präsidentschaftsbewerber, und einige Kontrahenten nach dem Anschlag in San Bernardino einen Schießstand in Iowa. „Diese Nation braucht einen Kriegspräsidenten“, polterte Cruz. Sein Rivale Chris Christie wähnt die USA schon mitten in einem Weltkrieg: „Unser Land ist im Belagerungszustand.“ Selbst Jeb Bush sah sich genötigt, den Krieg der Worte anzuheizen, um im Getöse nicht unterzugehen. Unisono übten die Republikaner dann auch Kritik an der Rede des Präsidenten. "Das soll alles gewesen,sein?", twitterte Trump.

Wenn Barack Obama nun eine neue Phase im Antiterrorkampf einläutet, geht es ihm nicht nur darum, die politischen Gegner zu konterkarieren, sondern vor allem, sich als handlungsfähiger Präsident zu zeigen.

AUF EINEN BLICK

Videoreportage: Krieg gegen IS:www.diepresse.com/isRede an die Nation. Seine jährliche Rede zur Lage der Nation hält Barack Obama am 12.Jänner im Kongress. Zu besonderen Anlässen meldet er sich via TV-Ansprachen zu Wort, etwa nach Osama bin Ladens Ermordung 2011 oder mit der Erklärung zum Rückzug der US-Truppen aus dem Irak.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Die Stadt im Westen Syriens ist von Hilfe von außen abgeschnitten.
Außenpolitik

Syrien: Eine Stadt im Kampf gegen den Hungertod

Seit Oktober sind keine Hilfslieferungen mehr in der umkämpften Stadt Madaya angekommen. Die Bewohner müssen Gras, Blätter und Blumen essen, um zu überleben.
Russische Sukhoi Su-24 kehren von ihrem Einsatz zurück.
Außenpolitik

Amnesty International: Russland tötet in Syrien Hunderte Zivilisten

Die Einsätze der russischen Luftwaffe in Syrien würden zu schweren Schäden in Wohngebieten führen. Die Angriffe kämen Kriegsverbrechen gleich.
Eine Flagge des IS im Irak.
Außenpolitik

IS büßt rund 14 Prozent seines Territoriums ein

Die Terrormiliz hat mehr Land verloren als erobert, heißt es in einer Untersuchung. Die Einbußen hätten auch Auswirkung auf die Finanzen der Extremisten.
Syrische Soldaten in Homs.
Außenpolitik

Die Folterfabriken des Bashar al-Assad

Human Rights Watch hat einen neuen Bericht über die Gräuel des Assad-Sicherheitsapparats vorgestellt. Die Menschenrechtler sprachen mit Angehörigen und einstigen Zellengenossen der Opfer.
File picture shows a man working at a makeshift oil refinery site in al-Mansoura village in Raqqa
Außenpolitik

Die Finanzwaffen im Kampf gegen IS

Finanzminister beschließen Maßnahmen gegen Terrorfinanzierung.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.